Drucken

Arend Wulff | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.

Alltagsdeutsch (36/04) 07.09.2004 "Mecklenburger Platt"

Park vor dem Schweriner Schloß in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-VorpommernPark vor dem Schweriner Schloß in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern

Dialektatlas Nr. 9

Plattdeutsch in Mecklenburg-Vorpommern

O-Töne: "Plattdütsch is im Prinzip mi Läben. Denn ick schnack schon Plattdütsch seit miene Kindheit und miene Verwandtschaft schnacken se och alle Platt." / "Es ist dieses Freundliche, Deftige, Gemütliche, aber auch Strenge und trotzdem Herzliche."

"Es ist ne‘ Sprache, die irgendwo ne‘ gewisse Stimmung verbreitet. Und, also, wo man Platt schnackt, da ist gute Laune – sach ich einfach mal."

Sprecher: Joo, so ist dat bei uns in Mäkelbörg – wir schnacken Platt. Nur wißt ihr nicht, wat schnacken is, ne ? Sprechen würde man da im Süden zu sagen. Südlich von Neustrelitz, wo Norditalien anfängt. Und von Platt wüll ich mal’n büschn wat vertellen. Das Wichtigste ist erst mal die Phonetik – die hört man nämlich auch, wenn wir hier oben Hochdeutsch sprechen. Aber nun mal eins nach’m andern.

O-Ton: "Dat duurt aal’n büschen länger, ne."

Sprecher: Die erste Regel: Bloooß nix überstürzen.

O-Ton: "Wie heißt das so schön? Erst alles gaaanz langsam, dann aber doch irgendwann mit‘m Ruck."

Sprecher: Hier, wo die Ostseewellen an‘n Strands trecken – da hat man‘n büschen mehr Zeit – auch zum Schnacken.

O-Ton: "Schöun langsam sprecken und’n büschen laaaaangtrecken. Und dat is ja dat schöune, dat man in Plattdütsch, dat man do väääl mier uutdrücken kann. Wenn ick zum Beispiel zu ner Frau säch "Na, du mien lütter Schietbüddel". Op Plattdütsch, da hööt sich dat doch väääl better an als uf Hochdütsch mein kleiner Scheißer."

Sprecher: Jo. Scheißer, dat geht ja im Hochdeutsch nich, ne. Dat klingt für euch gaanz schön derb, ne ?

O-Töne: "Ganz deutlich sind eben diese sprachlichen Merkmale, was wir in der Sprachgeschichte nennen frühneuhochdeutsche Diphtongierung, wie mien-mein, dien-dein, Huus-Haus. Und eben die nicht durchgeführte zweite Lautverschiebung. Das ist eben dieses -P-, so wie im Englischen zum Beispiel. Das ist eben Piepe und nicht Pfeife. Oder Appel und nicht Apfel. Wir haben einen Frikativ-Laut, also –w- oder –f-, wo wir hochdeutsch ein –b- haben. Schriever, Schreiber zum Beispiel, oder blievt statt bleiben." / "Ich würde ihnen vielleicht auch sagen, dass man den Sound drauf kriegt, den plattdeutschen, und den kann man so schön mit "Elfmederhellgelbenflannell".

Sprecher: "Elfmederhellgelbenflannell" – dat is n‘ gutes Beispiel.

O-Ton: "Das ist so ein Wort, wo man eben so schön den Mund so’n büschen runterhängen lässt auf einer Seite..."

Sprecher: Also, wenn Ihr mit’m Norddeutschen klönt, also redet – Geduld. Wir schnacken langsam, dafür aber nicht viel. Weiß man ja. Sonst noch was?

O-Ton: "Das –R-, ja das ist auch unterschiedlich. Ich zum Beispiel säch AAAzt oder PRRRima. Ja, da is dat, ne? RRRück man bätten betau, ne. Da sach ich nicht das –ch-, das im Rachen, sondern das vorne, das Zungen-R. Dass wir vielleicht nicht so ganz deut-lich ar-ti-ku-lie-ren. Also’n büschen nuschelig. Breiter. Auf jeden Fall. Auch langsamer. Wir können aber auch ganz, ganz fix."

Zungenbrecher mit 36 Wörter, die mit –d beginnen !

Sprecher: Seht ihr? Dat ist der Sound.

O-Ton: "Ha, dat muss man erst ma verstehen, nich ?"

Sprecher: Ob ich Hochdeutsch rede oder Plattdütsch schnack. Kein Unterschied in der Phonetik. Aber nu kommt‘s. So’n paar Vokabeln müssen wir auch noch lernen. Die schleichen sich nämlich auch ein, wenn wir Hochdeutsch sprechen. Und dat wird manchmal ganz schön ...

O-Töne: "Figeliensch! Ha, dat is so ne Saak. Die is so figeliensch, dat man se garnich översetten kann. Das ist etwas, was besonderes, es ist nicht so einfach zu gestalten, es ist manchmal auch verdreht – im positiven Sinne." / "Ja, swienplietsch zum Beispiel."

Sprecher: Swienplietsch! Dat müssen Sie uns aber ma n‘ bisschen genauer erklären.

O-Ton: "Dieses Wort plietsch, das könnte man am allerehesten mit pfiffig oder schlau oder gewitzt übersetzen. Und swienplietsch ist also noch ne Steigerung dafür."

Sprecher: Swienplietsch. Schweineschlau. Nä, bauernschlau wäre besser.

O-Töne: "Oder tousamenklamüstern, das wäre also so für zusammenbasteln oder zusammenstellen oder so." / "Also, wenn ich sag‘ Mien säuten Diern. Na, die säute Diern da, die sieht aber ganz nett aus. Das heißt eben das süße kleine Mädchen da, oder so."

Sprecher: Es gibt ja so viele Vorurteile gegen uns: Langsam sollen wir sein, kühl und steif, humorlos. Ne, zurückhaltend. O.K., so kann man dat natürlich nennen. Und ruhig, immer ruhig. Dat macht die Landschaft. Und dat is auch gar nicht schlecht in der heutigen Zeit. Da kann man stundenlang am Strand spazieren gehen. Und dat große Meer sehen. Und wenn ich dann so ins Land reingehe, die Felder. Und ganz hinten am Horizont mal ein Wald. Jaaaa. Da kann man Mittwoch schon sehen, wer Samstag zu Besuch kommt.

O-Töne "Mein Motto ist immer: Ich sach, wat soll ick mich hüt uprägen över dat, wat morgen gar nicht kümmt. Kommts nicht heut, kann komste morgen. Und: Nicht abwartend, aber nicht alles auf einmal erledigen wollen." / "Nej, die sind gornich stief. Dat is nur de Schien. Hätt de Mäkelbörger ierst n Menschen in sin Haart inschlottn, denn kann diese Mensch sich opn Meckelbörger full und gonz verlatten."

Sprecher: Und die aus dem Süden sagen ja auch Fischkopp zu uns. Ne, wir haben doch keine Kiemen, oder?

O-Töne: "Man nennt uns manchmal Fischkopp, doch darauf sind wir stolz, denn lieber ein Fischkopf als einen Kopf aus Holz." / "Ich erlebe es immer wieder, dass wenn wir Besuch aus anderen Landesteilen haben, dass die bass erstaunt sind, dass wir so fröhlich sein können."

O-Töne: "Jaaa, der Mäkelbörger, der lacht giern. Und se sind giern lustich. Und se fiern uch giern. Joo, un dann geift dat och manchmal ne Klopperie, de geift dat denn ouk. Wenn dat Rivalitäiten twischen verschiedene Dörper gäiv. Ouder, wenn de Muskaten nich ordentlich späll deten, denn röp einer in dem Saal "Häm de Muskaten hück überhaupt schon Schacht kräng?" und dann kräign de erst mal Schacht und denn häm se mal ordentlich opspäält. Muskaten, das sind Musiker und auf dem Dorffest früher, wenn die Musiker nicht ordentlich spielten, dann rief einer im Saal "Ham die Musiker heut schon Schacht gekriegt?" Und dann kriegten die erst mal Prügel und dann spielten die anständig los." / "Das ist nur so, dass wir uns auch mal amüsieren können, ohne laut zu lachen. Da hab ich eine Veranstaltung gehabt und hatte mich vorher mit einem älteren Herrn – hätte mein Großvater sein können – plattdeutsch unterhalten. Und dann hab ich die Veranstaltung gehabt und hab dann auch Witze erzählt, und der saß vor mir und verzog keine Miene – keine Miene. Und dann hab ich wirklich – also manchmal schon Witze erzählt, die ich gar nicht erzählen wollte, nur um dem ein Grinsen abzutrotzen. Klappte nicht. Nehm meine Gitarre und will den Saal verlassen, da kommt der hinter mir her, legt seine große Hand auf meine Schulter und sacht "Jong, dat heste fein gemocht. So gaut häv ick mich lang nich amüsiart."

Sprecher: Jou, man sieht es uns auf den ersten Blick nicht so an, wenn wir uns freuen. Von wegen Spaßbremsen – und zum Lachen in den Keller gehen tun wir auch nicht. Der Klaus-Jürgen Schlettwein, der bringt seit 20 Jahren Leute zum lachen. Im Radio und auf der Bühne. Also – bitte, Herr Schlettwein:

O-Ton: "Ja wat soll ick vertellen. Muss ja auch ein anständiger sein. Weil man uns auch immer nachsagt, die Plattdeutschen könnten nur unanständige Witze. Also ..."

Sprecher:

Nee, nee, nur nix Unanständiges hier im Radio. Wir hier in Mäkelborg – wir sind natürlich auch nicht immer witzig. Neee, unsere Kultur geht weit über Bierzeltniveau raus. Liedermacher ham wer auch – sogar auf Plattdeutsch. Das hier ist Joachim Kneffe. (Lied Joachim Kneffe)

O-Ton: "Op de Bööm rufkladdern – also auf die Bäume raufklettern – mit den telgen wippen – also mit den Zweigen dort wippen. Das ganze Lied heißt eigentlich barsbein durch de wippm löfen – barfuß durch die Wiese laufen. Das traut sich heute kaum noch jemand. Eigentlich weiß kaum noch einer zu schätzen, wie herrlich das in der Natur ist, ohne zivilisatorische Repressalien, die wir uns da aufzwängen". (Fortsetzung Lied)

O-Ton: "Plattdeutsch ist ein Stück Kulturgut. Und, ja, es ist so eine Art Museumsstück. Natürlich wird Plattdeutsch heute nie mehr den Rang einer Amtssprache erreichen. Aber dieses Museumsstück muss man erhalten und vor allen Dingen: Man muss es auch anwenden."

Sprecher: Genau – Platt ist nämlich schon ordentlich alt. Und eigentlich wurde das aus allen möglichen Sprachen zusammenklamüstert. Vom Slawischen östlich der Elbe, Germanischen westlich der Elbe. Da ist Englisch drin, Französisch und natürlich skandinavische Sprachen. Im Mittelalter hat man in der gesamten Hanse Plattdütsch gesprochen. In Hamburg, in Bremen, im gesamten Ostseeraum.

O-Ton: "Bit na Novgorod houch, na Russland ..."

Sprecher: Aber so um 1500 – da isses dann passiert.

O-Ton: "Dann hat man sich dem Hochdeutschen zugewendet. Erst eben als Schreibsprache und dann haben wir dieses Nebeneinander gehabt: Was schriftlich war, das gehörte sich, dass das eben Hochdeutsch geschrieben wurde und gesprochen wurde eben noch wesentlich länger eben Niederdeutsch. Dieses, was vorher eben eine Sprache war wurde jetzt dialektisiert."

Sprecher:

Und das haben wir jetzt davon: Wir in Norddeutschland sprechen zwar alle Platt – aber hier in Mäkelbörg klingt das schon ein bisschen anders als in Hamburg oder Holstein. Wir STolpern beim Reden zum Beispiel nicht über spitze sTeine – so wie in Hamburg. Und einige Wörter sind auch hier anders als westlich der Elbe. Dat liegt daran, dass es keine einheitliche Schriftsprache mehr gab. Außerdem gibt es natürlich keine Worte für all diesen modernen Kram.

O-Ton: "Der Staubsauger – der Staubsauger ist als Wort entstanden zu einer Zeit, als Plattdeutsch nicht mehr so in war."

Sprecher: Huulbesen haben wir daraus gemacht – logisch: ein Besen, der heult.

O-Ton: "Oder Fernsehgerät, nicht? Da säggen wir Kiekschapp. Schapp ist der Schrank, wo man reinguckt. Kiekschapp oder Püschenkino."

Sprecher: Ganz schön schlau – aus alt macht neu. Das klappt auch beim schnacken. Auch wenn uns manche nicht verstehen. Aber das war manchmal auch ganz gut so – zum Beispiel, als das hier noch die DDR war. (Musik De Plattfööt)

O-Ton: "Ich sach gerade, dass wir durch das Plattdeutsche Texte gemacht haben, die auf Hochdeutsch niemals durch das Lektorat gegangen wären, also niemals erlaubt worden wären zu produzieren in Rundfunk und Fernsehen. Zum Beispiel haben wir ein Lied gemacht, das hieß Elsa von Trabant. Also es ging über Trabant. Und das ging dann so los: Elsing het ne Trabbi krägn – menn gejn tein jier schnell vorbie. Also: Elsa hat ihren Trabant jetzt gekriegt – Mensch, gehen 10 Jahre schnell vorbei. Das ist natürlich ne völlige Kritik gewesen, an den Wartezeiten damals. Das wäre auf Hochdeutsch niemals gegangen." (Musik De Plattfööt)

O-Ton: "Bi ons hie in Meckelbörg is dat noch sehr verbreitet. Wie hämt bloß n paar Schwierigkeiten mit die Jugend. De müchten nich mi so. Weil okn Teil vonne Öllern nich mehr Plattdütsch schnacken."

Sprecher: Viele verstehen dat ja noch, unser Platt. Aber die Sprecher – dat werden immer weniger. Die sterben einfach aus. Früher – da hat man das noch von den Eltern, oder Ömming und Öpping gelernt. Und nu? Nix. Unsere schöne Sprache stirbt einfach aus. Aber jetzt hilft uns diese EU. Weil Platt eine richtige Sprache ist – und kein Dialekt. Und zwar eine Minderheitensprache. Jetzt steht unser Platt in der Charta der EU. Europäisches Abkommen über regionale und Minderheits-Sprachen. So nennen die dat. Platt ist sogar offiziell zweite Amtssprache.

O-Töne: "Das würde in der Praxis bedeuten, dass ich in einer Gerichtsverhandlung darauf bestehen könnte, dass die in Plattdeutsch geführt wird. Und wie der Richter damit klar kommt, wäre dann sein Problem." / "Also mir hat eine Bekannte mal erzählt, die sich den Spaß macht, wenn sie einen Ordnungszettel kriegt, falsch geparkt hat, dann schreibt sie einen Brief auf Plattdeutsch. Und dann kriegt sie eigentlich meist eine Antwort von den entsprechenden Ämtern sie soll diesen Unfug lassen und sie soll doch einfach bezahlen und nicht in dieser Sprache schreiben."

Sprecher: Dat sind unsere Beamten. Auf der anderen Seite wird viel dafür getan, dass unser Platt nicht ausstirbt. Ins Theater kann man gehen – da werden Stücke von uns Fritzing Reuter gegeben. Viele Vereine gibt’s – die schnacken Platt, machen Veranstaltungen. Und die jungen Leute, die lernen das jetzt auch wieder in der Schule. (Lied von Schülerinnen)

Sprecher: Richtig anständig schnacken und singen sie um die Wette. Plattschnack-Wettbewerb für Kinder.

Sprecher: Gaanz weit ouben dabei: Jasmin, die ist erst acht Jahre, als Pippi Langstrumpf.

Sprecher: Und so lange wir so nen Nachwuchs haben, steht’s auch ums Plattdeutsche nicht so schlecht. Ihr wißt ja: Wir Mäkelbörger, wir sehen dat wie immer - gaanz ruhig.

Arend Wulff

Drucken

Arend Wulff | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.