Diana Peßler | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.
Alltagsdeutsch (27/04) 06.07.2004 "Sächsisch"

Mundarten und Dialekte:
Sächsisch
Die sächsche Sprache ist sehr weich, sie ist so melodienreich, sie klingt wie ein Gedicht, das wees dor Pfeenze nich".
- O-Ton Arthur Preil "Hern Se, über unsre sächsche Sprache, da geht doch werglisch nischt. Sowas von Klangfülle kann keene Sprache dor Erde uffweisen."
Sprecher: Ebn. Un desweechn fahrn mor eenfach ma zu diesm herrlischn Fleggschn Erde.
Atmo Zugdurchsage sächsisch: Meine Damen und Herren, in Kürze erreichen wir Dresden Hauptbahnhof, dieser Zug endet dort.
Sprecher: Na los, Kommse! Off nach Sachsen.
Atmo Zugdurchsage sächsisch [...] Bitte alle aussteigen. Im Namen des Zugpersonals verabschiede ich mich von Ihnen, wünsche allen Reisenden n angenehmen Tag sowie ne gute Weiterfahrt. Auf Wiedersehn.
Sprecher: Hach, das glingt diregt ä bissl wie zu Heeme. Is doch schön, dor sächsche Dialekt, nor?
- O-Ton Touristin1 "Soll ich ganz ehrlich sein? Also er is teilweise unverständlich und tut in unseren Ohren etwas weh."
Atmo Bahnhofsdurchsage: Herzlich willkommen in Dresden Hauptbahnhof
- O-Ton Touristin 2: "Ich find das auch nich ganz so gut. (Lachen.) Gibt ja so schöne Dialekte, aber das Sächsische find ich auch nicht so schön."
Sprecher: Na! Das kann ich gornet finden. Abor sie sin leidr ne de eenzchen, die das denken. Egal wer un wann unnersucht hat, welsche Dialekte beliebt sind und welsche net – immer, immer steht Sächssch am Schluss dor Beliebtheitsskala. Ganz schön bitter. Peter Porsch hats da besser. Er ist nämlisch Dialektforscher an der Universität Leipzig, aber kommt aus Wien. Und Wienerisch is eener von den allerbeliebtesten Dialekten.
- O-Ton Porsch: "Der sächsische Dialekt hat ja sozusagen an der Tragödie seiner Geburt zu tragen."
Sprecher: Aber, Herr Porsch. Sächssch klingt doch jetzt net objektiv hässlischer, oder?
- O-Ton Porsch: "Es war einst die Gegend wo man vorbildliches Deutsch gesprochen hat. Luther hat hier sein Vorbild für die Bibelübersetzung ins Deutsche genommen. Das hatte Gründe, weil es war bereits ne Mischsprache, es war die Sprache eines Siedelgebietes, wo Leute aus allen Ecken und Enden des Sprachgebiets, des vormaligen angekommen waren - es entstand also grammatikalisch auf jeden Fall und auch im Lexikon ne gewisse Vorbildlichkeit, ein gewisser Standard."
Sprecher: Den ooch Preußen übernahm. Nur sprachn die unsre sächsschen Wörder ganz anners aus. Naja, un dor Rest ist Geschischte. Preußen besiechte 1763 die Sachsen im siebenjährchen Krieg und flupp: Sachsens kulturelle Vorbildlichkeit war dahin. Ab jetz war hochdeutsch angesagt in Deutschland.
- O-Ton Porsch: "Und da klingt das Sächsische immer wie'n Deutsch, das im Grunde fast korrekt ist grammatisch und lexikalisch aber so fürchterlich komisch ausgesprochen wird."
Sprecher: Und seitdem wern mir Sachsn verspottet. Hm, un die 40 Jahre DDR hamms och ne bessor gemachd. Nä, Herr Urban, sie waren doch damals schon Schauspieler.
- O-Ton Steffen Urban: "In Verruf gebracht haben’s die Kommunisten, also unter Walter Ulbricht beispielweise, der dann irgendwann mal diesen herrlichen Satz geprägt hat..."
- O-Ton Walter Ulbricht: "Niemand had die Obsicht eine Maur zu errichtn."
- O-Ton Steffen Urban: "Und was is gekomm’? Die Maur."
Sprecher: Naja, un auf beidn Seitn konnte man dem Sächsischn ne besondors viel abgewinn. In diesen DDR-Fernsehschwänkn war dor Sachse schon damals immor dor Depp. Und vor allem den Berlinern war das Sächsche hochsuspekt. Weil Sachsn das bevölkerungsreischste Gebied dor DDR war, kamn de meisdn Polizisdn un Grenzsoldatn von da.
Sprecher (über Musik Jürgen Hart): Doch gommt dor Sachse nach Berlin, da gönn’ se ihn nich leidn, da wollns ihm eene drieberziehn, da wollse mid ihm streidn. Und dud ma’n ooch verscheißern, sein Liedschen singtor eisern. Nor wahr,
Sing, mei Sachse sing, es is ä eichen Ding.
Sprecher: Sing mei Sachse sing" von Jürgen Hart – das Lied hat das sächsche Selbstbewusstsein zu DDR-Zeitn wieder so ä bissl angeschubst. Naja, wenn ooch ne besonders nachhaltig. Viele Sachsen schäm sich für ihre Sprache.
- O-Ton Chemnitzer "Also wenn mor das selber hört - klingt das nisch besonders. Ich wohn eigentlisch in Bayern und da versuch isch misch den Leudn da anzubassn midm Dialekt. Aber die hörns och widder raus." (lachen)
- O-Ton Peter Porsch : "Wenn die Sachsen Sachsen verlassen, verlassen sie auch möglichst schnell ihren Dialekt. Sie versuchen also da alles abzulegen, was sie in irgendein Zwielicht bringen könnte."
Sprecher: Was natürlisch genau die falsche Strategie ist, um unserem Dialekt ein bisschen mehr Geltung zu verschaffen. An dem alten Ehepaar, da off dor Bank in dor Sonne, da könnten sich viele Sachsen ma ne Scheibe abschneidn.
- O-Ton Paar: "Mir redn wie dor Schnabl gewachsen is - Mir machn uns da ieberhaupt keen Kopp - Nee, mir red'n ehm wies kommt nor, so redn mir? - Und wennmor ma woannersch hinkomm, un wir wärn ne verstandn - da redmer ehm ä bissl langsamer."
Sprecher: Ja, wenn mir sachsn versuchn hochdeutsch zu redn, kommt meisdn eh nur son "Gewandhaus"-Sächsisch raus. Klingt total gestelzt, und trotzdem hört jeder wo du herkommst. Und Eigndlich geht’s ja sowieso nur ums verstanden wern. Das setzt nadürlisch off beedn Seidn ä bissl Anstrengung voraus. Och beim Hochdeutschen. Ihm gehört mal’n bissl Sächssch beigebracht. Steffen Urban, der is Sächsischlehrer und fängt diregt vorm altehrwürdigen Zwinger in Dresdn die Touristen ab. Guckema da! Zwee Frauen aus Nordrhein-Westfalen, auf Stippvisite in Dresden:
- O-Ton Steffen Urban/Touristinnen: "N'richtigen Sachsen, weiß ich nicht, ob wir den schon mal kennen gelernt haben." /
"Es steht Ihnen einer gegnüber, ä waschechter Sachse, in Dresdn geborn und immor hier gebliehm. [...] Das schönste was mor aus nor Stadt mitnehm kann, is doch die Muttersprache, die Sproche, die mor von dort mitbring kann." / "Sachen Se einfach mal scheen: Elbegarpfen./ Elbegarpfen." / "Nisch so Anstreng!/ Elbegarpfen. Eefach nur rausbläddschern lassen. (Nee, das geht nich.) Elbegarpfen. Elbegarpfen. Elbegarpfen. Ich glaube nich, dass ich das hinkrich. Das weiß i auch nicht. Elbegarpfen. Nich richtig, nich?" / "Naja, da müssdor nochma wiederkomm, dass müssmor noch e biddl ühm."
Sprecher: Na und Sie, Sie da drüben! Sie müssen ooch! Kommse, los, keene Scheu!
- O-Ton Steffen Urban/Touristin: "Iiiiech also...da gibts doch was mit Kaffe der süß sein muss, gell? Hejs und sieße muss dor Gaffee sein. Hejs und sieße muss dor Gaffee sein." / "So, und dazu missen Se nur den Underkiefer nur aushäng unden, biddl runder scheen häng lassen und dann den Gaum ma hinder machen und sagen: Mor drinkn unsern Gaffee hejs und sieße." / "Mor drinkn unsern Gaffee hejs und sieße. - Also so gut kann ich das nicht."
Sächsische Hymne
Ladein un grieschisch gansde lern
un wär de Geschend noch so fern
un wär es gar im Land der Wildn
Da gannsde dir deine Sprache bildn
Mit Pillman, Ploetz und Langenscheidt
Und haste nisch genieschend Zeit
Dann rat isch dir in aller Güte
Nimm Ullsteins Worte in der Tüte
Doch keener, mag er noch so ring'
wird dausend Worde sächsisch bring.
Ja mir hamm schon manchen so erschreggt
Dasser wie dod zusammenbrach
Denn unsern sächschen Dialegt,
Den macht uns keener nach.
(Hans Reimann)
- O-Ton Bernd-Lutz Lange: "Ja also, die wichtigste Ausspracheregl ist also quasi auf die Konsonandn bezogn: Die Weechen besiechen de Hardn. Das heißt also die weichen Konsonanten, besiegen die harten Konsonanten, es gibt keine hardn Konsonandn."
Sprecher: Das ist Bernd Lutz Lange. Der gemeine Hochdeutsche würde sachn: Kabarettist und ein prima Typ. Bei uns heest das abor: Gabarettist un ä brima Dyb: k wird zu g ,t wird zu d und p wird zu b: alles eene Soße. Manche bezeichnen Sächsch sogar als Maulfaulheit.
- O-Ton Bernd Lutz Lange: "Die Vokale verschwindn die wern eliminierd, die wern weggesprochn. Also nich Künstler sondern Ginstlr. Das heißt, das "r" kommt gleich an das "l" ran, ohne "e". [...] Und dann gibts natürlich viele Gegenden in Sachsen, wo dann auch das "a" ä bissl zum "o" wird. Das ist dann so der Raum um meine Heimatstadt Zwickau, Chemnitz – früher Karl-Marx-Stadt – mon sagte immor "Stadt mit drei "o": Korl-Morx-Stodt."
Sprecher: Das ist nämlich einfacher, dann muss man nämlich den Mund nicht so weit aufmachen. Überhaupt nuscheln wir Sachsen gern so ein bisschen vor uns hin. "Sprich ordentlich" mussde mor sisch als Kind dann immor anhörn – oder vielmehr: sbrisch ordntlisch. Gunther Bergmann is Germanist und kann als gebürticher Sachse och ä Liedschn davon sing.
- O-Ton Gunther Bergmann: "Die Sprecher können den "ch"-Laut vom "sch"-Laut ganz schlecht untorscheidn. Brauche Ihnen nisch zu sachn was dann dabei rauskommt, wenn die Leude das Wort Architekt aussprechen müssen. Und das ging mir als Kind ganz genauso. Und mein Vator hat misch vehement mit allen erzieherischen Middeln versucht davon zu überzeugn, dass es also ganz wischtisch wäre, wenn ich also das Wort "Ge-schi-chte ri-chti-ch ausspre-chn" lern würde. Ich konnte es nämlich nicht. Und das habe ich dann beherzigt und gedacht, das muss dann einfach sein. Weil man ja sonst auch ganz unsicher in dor Orthografie wird. Viele Kindor schreibn eben den Tisch hintn mit c-h, un dafür Geschichte ehm vorne mit c-h un hintn mit s-c-h, weil sie völlisch verunsichert sind."
Sprecher: Ge-schisch-te: ch wird zu sch und die weischen Konsonanten und so... Das sin so die einfachsten Regeln. Wenn Sie jetzt aber glauben, Sächsisch nachmachen zu müssen, muss ich Sie warnen.
- O-Ton Steffen Urban: "...dann komm mir die Krampfadern im Hals aber sehr weit rausgschossen."
- O-Ton Chemnitzerin: "...das is ooch immr übertrieb'n, ja also wir sin ja nun in Sachsn geborn, aber da wern zum Beispiel och Sachen gesacht, die hamm wir zum Beispiel noch nie gehert, da sagn wir immer, wo hammse das jetzt ausgegrabn, ne, und wird natürlich dann auch falsch rübergebracht, da wird einer aus Leipzig nachgemacht, und der spricht dann das absolut Dresdnersächsisch und das is nadürlisch für unsre Fachohren ganz was anderes."
Sprecher: Naja, un dann isses ja mit dor richtchen Aussprache ne getan. Mor muss ooch a bissl Vokabeln pauken. Zum Beispiel ditschn. Ja genau: ditschn. Wissen se was das bedeutet?
- O-Ton Touristin: "Ditschn? Das könnt n Topf sein. Ditschn? Oder? Ditschn? Oder n kleines Stück?"
Sprecher: Nee, nee, nee, das is so eintunken, also wenn Sie...
- O-Ton Touristin: "Ah! Einstippen!"
Sprecher: Genau, einstippen. Und der Herr da drüben – wissen Sie was Hiddsche sein könnte?
- O-Ton Tourist: "Leider nicht, nein, ich kenne den Akzent, aber sonst speziell - da kenn ich mich nicht aus, nein."
Sprecher: Ne Hiddsche is ne Fußbank. Na gut, mach mor noch‘n letzten Versuch. Die Dame dort drüben – was is fischeland?
- O-Ton Touristin: "Bestimmt hat das nichts mit Fisch und Land zu tun, ne? Ja das könnt ich mir auch vorstellen. Esslokal oder so. Ausflugslokal. Oder dann isses n Naturpark."
Sprecher: Nee. Sie liegen total falsch. Fischeland is... na ja, erst mal schwierig zu erklärn...Och, Herr Bergmann als Germanist...sie hamm doch fünfzig Jahre am Wörterbuch dor Obersächsischen Mundarten geschriehm. Zwölftausend Vokabeln – da wird doch fischeland drinstehn...?
- O-Ton Gunther Bergmann: "Jetzt guckens wir einfach mal nach - und ich les vor was da steht. Vigilant, französisch eigentlich angesetzt, vigilant. Und jetzt die Interpretation: geistig und körperlich beweglich, ja das stimmt, das körperliche bewegliche, gehört auch dazu, pfiffig, aufgeweckt, gewitzt, klug, schlau und geschickt, wendig. Ja, und jetzt geht das weiter, sich in allen Lebenslagen zu helfen zu wissen und sich nicht betrügen zu lassen gilt als ein wesentliches Merkmal der sonst so gemiedlichen Sachsen, sie sind fischelante Gerlchen, die in die Welt passen und sich nichts vormachen lassen."
Sprecher: Ja, ja, fischelandsche Kerlchen. Nur leidr komt das bei den andern nisch immr so an...
- O-Ton Leipzigerin:
Sprecher: Und n ganz großer Irrdum. Mir Sachsn, mir sin neugierig un offgeschlossn. un wenn mor ooch de leude vollquadschn – mit unser weichn Aussprach simmer ehm ne besonders gefährlich. Un in unsrer Gemüdlichkeit simmer ooch noch kreativ. Mir Sachsn, mir sin Tüftler. Durchstöbern se mal de Patentämter, was in Sachsen alles erfunden wurde: Melitta-Kaffee-Filtertüten, der BH – also, der Büstenhalter –, die Inline-Skates, das europäische Porzellan und die Plauener Spitze. Das ist doch spitze! (Musik Kai Niemann: Im Osten)
Trotzdem sind wir – mir sin ja so doll – viel zu bescheidn – uh was sin mir doll – viel zu bescheidn – trotzdem kann uns immer noch nich jeder leidn – wir sin ja so doll – wir sin – wir sin ja so doll – viel zu bescheiden – godd was sin mir doll – dass wir irgendwann die Sieger sind, lässt sich nicht vermeidn.
Sprecher (über Baulärm): Ha-ha-hallo! Hallo! Hörn Sie mich? Hallo! Ja, Sie, komm se mal näher! (Seufzt) Was fürn Lärm! Noch wird an alln Eggn un Endn gebaut. Aber das geht vorbei. Und jedes Mal, wenn man nach Sachsen zurückkommt, siehts ä bissl schöner aus. Aber – so schöns ooch bei uns is, uns zieht’s doch immer wieder in die große weite Welt raus.(Musik Otto Reutter: Ein Sachse ist immer dabei)
Das Reisen ist heutzutag sehr modern, und die Sachsen, die reisen besonders gern. Wie weit sich auch unsere Reise erstreckt, stets hört man den sächsischen Dialekt. Ob In- oder Ausland, wo immer es sei – ä Sachse is immer dabei. Und fahren wir zum Nordpol es kommt so weit, da fahrn wir dorthin zur Reisezeit. Vergessen die Kälte, sind ganz in Bann – da tönts schon ich hab keen Pulswämer an. Und ä Scheelchn mid Heeßm jetzt wär ne Arznei – ä Sachse is immer dabei.
- O-Ton Steffen Urban: "Ich bin in Los Angeles in Universal Studios gewesen - mid meinor bucklischen Vorwandschaft - und ich sache: Vater, gugge ma dord drühm, das müssn Ossis sein! (...)Und mei Vador sacht: Nee, Kleener, das gloobsch ni, dass das Ossis sin.(Musik Otto Reutter: "N Sachse is immer dabei") Das schöne daran war, wir sin hingegang, ich sach: los mir latschn einfach an den jetz vorbei - wir laufen an denen vorbei - un hörn mal, wie die sprechn. (...) Die Dame sachte: (Musik Otto Reutter "Da tönt es schon:") Gurt ne, mir missn dord driehbm, driehbm fährd dor Buss ab. (Musik Arthur Preil) Is das nisch Boesie, is das nisch scheen? Man muss den Sachsn nur rischtisch verstehn.
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