Suzanne Cords | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.
Alltagsdeutsch (25/04) 22.06.2004 "Geburtstag feiern"

Geburtstag feiern
Sprecherin: (schreiendes Baby) Nana, wer wird denn da so weinen? Es ist doch dein Geburtstag.
Sprecher: Der Tag der Geburt. Welcher Geburtstag ist das eigentlich? Der Nullte? Wie auch immer, das Geburtstagskind selbst bekommt noch nicht viel mit vom Ehrentag, die liebe Verwandtschaft um so mehr. Oma, Opa, Onkel, Tante, sie alle überschütten den neuen Erdenbürger mit Geschenken und verfallen in die Babysprache:
- O-Ton: "Eiteitei, kudidikudi, jajajajaja, jujuju." (schreiendes Baby)
- O-Ton: "Als mein Enkel auf die Welt kam, da konnte ich mich gar nicht vom Bettchen los eisen. Der Kleine war so süß. Gott sei Dank waren Mutter und Kind nach den ganzen Strapazen schnell wieder auf dem Damm." / "Ja, ich bin der Opa. Zur Feier des Tages habe ich mir erst mal einen hinter die Binde gegossen." / "Wir haben den Vater ja ganz schön gehänselt, dass sein Sohn ihm so gar nicht ähnlich sieht."
.Sprecher: (brüllendes Baby) Recht hat der kleine Mann, kräftig zu brüllen. Wer will am Tag seiner Geburt schon damit behelligt werden, in späteren Jahren einmal für die Rente anderer aufkommen zu müssen. Dann schon lieber Geschenke empfangen, mit denen einen die Verwandtschaft überschüttet. Sie verteilt die Gaben also recht großzügig. Man kann jemanden auch mit Komplimenten überschütten - wie in diesem Fall das süße Baby. Und von dem kann Oma sich nicht los eisen, sie kann sich nicht von ihm trennen. Die Wendung leitet sich vom Freimachen eines Schiffes aus dem Packeis ab, vielleicht aber auch vom Befreien des Wildes aus einer eisernen Fußfalle.
Sprecherin: Mutter und Kind sind wieder auf dem Damm. Sie sind gesund und munter. In Norddeutschland sind Damm und Deich identisch. Und nur, wer oben auf dem Deich ist, kann sich wohlfühlen, weil er vor der Sturmflut geschützt ist. Auf dem Deich können Pflanzen und Tiere prächtig gedeihen. Gedeihen ist ein altertümliches, aber nicht ungebräuchliches Wort. Man kann auch sagen: sich gut entwickeln.
Sprecher: Die Verwandtschaft hat den frischgebackenen, jungen Vater gehänselt, dass sein Sohn ihm so gar nicht ähnlich sähe. Wer jemanden hänselt, neckt ihn oder treibt einen üblen Scherz mit ihm. Das Wort hänseln hat nichts mit dem Vornamen Hans zu tun, sondern kommt von Hanse, einer mittelalterlichen Genossenschaft von Kaufleuten. Ursprünglich bezeichnet das Wort Hanse eine Kriegsschar. Wer in diese Hanse aufgenommen werden wollte, musste sich allerhand schmerzhaften Zeremonien wie dem Hobeln des Körpers oder einer blutigen Rasur unterziehen. Hänseln nannte man das, also für die Aufnahme in die Hanse bereit machen. Beim Hänseln haben sich die Kaufleute oft einen hinter die Binde gegossen, sie haben reichlich Alkohol getrunken. Diese Redensart verdanken wir der Herrenmode des 19. Jahrhunderts. Damals trugen die Männer einen Halsbinde, einen hohen Kragen, hinter dem manch guter Tropfen verschwand.
Sprecherin: Gott sei Dank sind die groben Zeremonien der Hanse an Geburtstagen kein Brauch. Aber hänseln tut man die Geburtstagskinder doch ganz gerne, wenn auch nur mit Worten. Manchmal in Reimform:
Zitat: "Ach Du Schreck,
die Jugend und der Lack sind weg.
Die Knochen knacken beim Bücken,
Du hast es mit dem Rücken."
Sprecherin: Und manchmal mit einem dummen Spruch. Vor allem Grußkarten sparen nicht gerade mit Anspielungen, wenn das Geburtstagskind von Jahr zu Jahr älter wird.
Zitat: "Na, du Pflaume. Du wirst immer reifer und reifer und plumps, bist du Fallobst. Na ja, das kann ja auch noch ganz lecker sein. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
"Zitat: "Wenn jemand auf die Idee kommt dich alt zu nennen, dann schlag ihn mit deinem Stock und wirf ihm dein Gebiss hinterher! Happy Birthday."
- O-Ton: "Wer sich da auf den Schlips getreten fühlt, ist selber schuld. Ich habe gerade erst einen runden Geburtstag hinter mich gebracht, ich bin 35 geworden und habe eine Riesenfete gemacht. Meine Freunde haben mir einen Ballonflug geschenkt. Wir hatten Superstimmung, es ist so richtig gut abgegangen. Vielleicht haben wir den Bogen überspannt, denn irgendwann stand leider die Polizei vor der Tür."
- O-Ton: "Guten Tag, Ihre Nachbarn haben sich beschwert, wegen nächtlicher Ruhestörung. Könnten Sie bitte die Musik etwas leiser machen."
Sprecherin: Offizieller Besuch der Polizei ist keine Seltenheit, wenn man seinen Geburtstag im Mietshaus feiert. Denn nur wenige Nachbarn haben Verständnis, wenn einem die Fete in der Wohnung nebenan den wohlverdienten Schlaf raubt.
- O-Ton: "Obwohl wir gar nicht so laut waren. Keiner hat sich beschwert, außer den Leuten unter uns. Die stellen sich immer so an, die sollten echt mal die Kirche im Dorf lassen."
Sprecher: Die Nachbarn des Geburtstagskindes sollen die Kirche im Dorf lassen, sie sollen nicht übertreiben. In manchen Epochen hat eine wilde Bauwut traditionelle Strukturen in Dörfern und Städten zerstört. Aber, wenn man auch vieles verändern will, die Kirche sollte man im Dorf stehen lassen. Man sollte den Bogen nicht überspannen, also nicht übertreiben. Diese Redensart verdanken wir dem ägyptischen Pharao Amasis, der sich im Kreise seiner Freunde schon mittags dem Wein hingab. Vorwurfsvoll zur Rede gestellt, wies er darauf hin, dass ein Bogen, der immer gespannt sei, zerspringe und nicht mehr zu gebrauchen sei. Ebenso müsse ein Mensch nicht nur arbeiten, sondern sich auch entspannen, also ausruhen.
Sprecherin: Wer entspannt ist, fühlt sich nicht so schnell auf den Schlips getreten, nämlich belästigt. Dann macht es einem auch nichts aus, wenn man mal als Pflaume bezeichnet wird, als Trottel. Das Wort anpflaumen, etwa: dumm anmachen, hat allerdings nichts mit der Frucht zu tun, sondern kommt vom zarten Flaum des Federviehs. Für lebendiges Geflügel ist das Flaumen, das Federnausrupfen, ziemlich unangenehm. Wenn man in Anspielung auf's Alter sagt, der Lack ist ab, vergleicht man einen Menschen mit einem Auto, das nicht mehr das neueste ist und von dem hier und da schon ein wenig Lack abgekratzt ist. Solche Bemerkungen sind in der Regel nicht böse gemeint. Die Geburtstagsparty geht inzwischen fröhlich weiter.
Sprecher: Der Besuch der Polizei hält die Gäste nicht davon ab, dem Geburtstagskind um Mitternacht ein Ständchen zu bringen. Die Älteren singen den angestaubten Klassiker "zum Geburtstag viel Glück", bei der jüngeren Generation hat sich das international verbreitete "Happy Birthday" eingebürgert.
Gäste singen: "Happy birthday"
Sprecherin: Geburtstagskinder können sich an ihrem Ehrentag nicht nur amüsieren, sie fühlen sich meistens auch gestresst. Wer nicht gerade über einen großen Geldbeutel verfügt, muss die Partyvorbereitungen selbst treffen: einkaufen, Essen kochen, das Buffet vorbereiten, Bierkästen schleppen, aufräumen, und und und. Bei dieser Vorstellung bekommt so manches Geburtstagskind kalte Füße. Und außerdem ist Feiern nicht jedermanns Sache.
- O-Ton: "Ja, wenn man so eine bestimmte Anzahl von Jahren auf dem Buckel hat, dann ist das alles nicht mehr so prickelnd mit dem Feiern. Also man möchte eigentlich gar nicht dran erinnert werden." / "An meinem letzten Geburtstag bin ich mit meiner Freundin und meine Mama auf einem Dampfer gefahren und dann hat die Mama uns ein Eis gekauft und dann sind wir wieder zurückgefahren. Und das war ganz schön." / "Die letzten Male wollte ich mir nicht so viel Stress machen, da hab ich einfach ein paar Leute, die engsten Freunde in meine Stammkneipe eingeladen und ein paar Bierchen getrunken." / "Ich feiere Geburtstage, wie sie fallen, das ist bei mir einmal im Jahr. Immer 'ne schöne kleine Party mit netten Leuten." / "Ich feiere nur runde Geburtstage." / "Geschenke kriegt man schon gerne, aber die sind nicht mehr so wichtig, die haben eigentlich mehr 'ne Geige gespielt, als ich jung war, jetzt ist das nicht mehr so ausschlaggebend." / "Der wichtigste Geburtstag ist doch, wenn man 18 wird, endlich volljährig!"
Sprecher: Wenn das eigene Kind volljährig wird, spielen die Eltern nicht mehr die erste Geige, sie stehen nicht mehr an erster Stelle. In der Kammermusik ist der erste Geiger gleichzeitig Dirigent, er gibt den Ton an. So manche Eltern bekommen dann vielleicht kalte Füße, sie haben Bedenken oder gar Angst, ob auch alles gut geht. Diese Redensart verdanken wir dem Mundartdichter Fritz Reuter, der in einem seiner Werke einen schlitzohrigen Rektor beschreibt. Dieser gewinnt beim Kartenspiel einen Haufen Geld. Als er Angst bekommt, das Glück könne ihn verlassen, gibt er vor, kalte Füße zu haben und zieht mit seinem Gewinn von dannen. Der Ausdruck ist übrigens keineswegs angestaubt, er ist nicht veraltet. Auch wenn er schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, also nicht mehr der jüngste ist.
Sprecherin: Wer einen runden Geburtstag feiert, hat meist auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Runde Geburtstage sind die mit einer Null am Ende. Wenn man 40, 50, 60 und älter wird, finden das allerdings viele Geburtstagskinder nicht mehr so prickelnd, nicht mehr so aufregend.
Übrigens hat sich das Geburtstagfeiern erst im 19. Jahrhundert eingebürgert, nämlich verbreitet. Ursprünglich war es ein protestantischer Brauch. Katholiken feierten früher nur ihren Namenstag. Aber wie sagt der Volksmund so treffend: Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Sprich: keine Gelegenheit zum Feiern auslassen.
Musik: Badesalz: "Alles Gute"
- O-Ton: "Ja, der Morgen danach kann ganz schön übel sein. Zu tief ins Glas geguckt, voll verkatert und noch halb im Tran steht man da, überall dreckige Gläser, Teller, volle Aschenbecher, und dann kann man das Chaos beseitigen, das die Gäste hinterlassen haben." / "Oft würde ich am liebsten den ganzen Tag danach im Bett verbringen, aber das geht nicht, da steht immer meine ganze Verwandtschaft auf der Matte." / "Natürlich darf man da nicht etepete sein, da geht schon mal was zu Bruch, Kippen landen auf dem Teppich, aber ich seh' das nicht so eng."
Musik: "Alles Gute"
Sprecherin: Der Morgen nach dem Geburtstag, den man ordentlich gefeiert hat, ist meist weniger angenehm. Erste Nebenwirkung: der Kater. Nicht das Katzenvieh ist gemeint, sondern die Kopfschmerzen, wenn man zu tief ins Glas geguckt hat, zu viel getrunken hat. Kater ist die Verkürzung von Katzenjammer, was früher Kotzenjammer hieß und die Nachwirkungen durchzechter Nächte besser charakterisiert. Kein Wunder, dass man dann richtig im Tran ist, also verschlafen. Eine mit Tran gespeiste Lampe brennt nur schwach und trübe, ein guter Vergleich mit dem angeschlagenen gestrigen Geburtstagskind. Angeblich helfen in einem solchen Zustand Rollmops und saure Gurken. Vielleicht kann man dann der Verwandtschaft wieder wachen Auges gegenübertreten. Wenn die nämlich auf der Matte steht, heißt das, sie steht direkt vor der Haustür, auf der Fußmatte, dem Fußabtreter. Hoffentlich sind Eltern und Geschwister nicht so etepete, nicht so zimperlich, wenn es noch nicht überall wieder aufgeräumt ist. Im Niederdeutschen heißt "ete" geziert, auch übermäßig fein; etepete ist eine ironische Verdopplung.
- O-Ton: "Es ist ja nicht so, dass jeder Geburtstag zur Orgie ausartet. Man kann ja auch im kleinen Kreis zusammensitzen bei Kaffee und Kuchen. Je älter man wird, desto ruhiger sind die Feiern. Als Kind fiebert man noch auf die Geschenke, später fragt man sich oft, wo man mit dem ganzen Plunder hin soll, den die Leute so anschleppen. Lieber gar nichts als die zwanzigste Salatschüssel. Nur wenn einer einen ganz bestimmten Wunsch hat, klapper ich dafür gerne ein paar Geschäfte ab. Aber die Hauptsache ist doch: Jeder soll an seinem Geburtstag das machen, was ihm Spaß macht."
Sprecher: Bloß keinen Plunder, kein überflüssiges Zeug, zum Geburtstag zu verschenken ist gar nicht so einfach. Da klappert man 'zig Geschäfte ab, man geht durch sehr viele Geschäfte, und findet doch nicht das Richtige. Wenn jemand die ganze Gegend abklappert, überall vorbeigeht, dann steht er in der Tradition der Handwerksburschen und Hausierer, die im 19. Jahrhundert mit klappernden Holzschuhen von Tür zu Tür zogen, um eine Bleibe zu finden oder etwas zu verkaufen. Wenn Kinder mit Spannung auf ein besonderes Ereignis warten, dann fiebern sie auf etwas hin, sie sind so erregt und haben derart rote Wangen, als ob sie Fieber haben.
Sprecherin: Hoffentlich stehen bei Ihrer nächsten Geburtstagsfeier nur nette Gäste auf der Matte, die Ihnen keinen Plunder, sondern schöne Dinge schenken. Wir verabschieden uns mit einem Gedicht:
Zitat: "Das große Glück, noch klein zu sein,
sieht mancher Mensch als Kind nicht ein
und möchte, dass er ungefähr
so 16 oder 17 wär'.
Doch schon mit 18 denkt er: "Halt!
Wer über 20 ist, ist alt."
Warum? Die 20 sind vergnüglich –
auch sind die 30 noch vorzüglich.
Zwar in den 40 - welche Wende –
da gilt die 50 fast als Ende.
Doch in den 50, peu à peu,
schraubt man das Ende in die Höh'!
Die 60 scheinen noch passabel
und erst die 70 miserabel.
Mit 70 aber hofft man still:
"Ich schaff' die 80, so Gott will."
Wer dann die 80 biblisch überlebt,
zielsicher auf die 90 strebt.
Dort angelangt, sucht er geschwind
Nach Freunden, die noch älter sind.
Doch hat die Mitte 90 man erreicht
die Jahre, wo einen nichts mehr wundert -,
denkt man mitunter: "Na – vielleicht
schaffst du mit Gottes Hilfe auch die 100!"
Musik: "Alles Gute."
Suzanne Cords | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.