Antje Allroggen | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.
Kaffeekultur

Die meisten Menschen brauchen ihn um morgens gut in den Tag zu starten: Kaffee - ein Wort, das ursprünglich "Wein" bedeutete. Aus dem Arabischen wanderte es über das Türkische auch zu uns...
Zitator: "Ich oblag dem Schlafe zu jener Zeit fast im Übermaß, meistens bis zum Mittagstische, oft noch bedeutend darüber hinaus und verließ Pension Loreley erst zu vorgerückter Nachmittagsstunde, um vier oder fünf Uhr, wenn das vornehmere Leben der Stadt auf seine Höhe kam, die reiche Frauenwelt in ihren Karossen zu Besuchen und Einkäufen unterwegs war, die Kaffeehäuser sich füllten, die Geschäftsauslagen sich prächtig zu erleuchten begannen. Dann also ging ich aus und begab mich in die innere Stadt."(Thomas Mann, "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull")
Sprecherin: Ein Ausschnitt aus Thomas Manns Roman "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull". Die Lebensgeschichte des Helden beginnt im Rheinland, wo sein Vater eine Sektkellerei besitzt und Felix Krull eine sorgenfreie Kindheit verlebt. Schon im frühen Alter lernt der Junge das bürgerliche Leben kennen, in dem Empfänge und Abendessen eine große Rolle spielen und vergnügt sich daran, nachmittags in der Stadt herumzuschlendern, luxuriöse Schaufenstervitrinen zu betrachten und Damen beim Plaudern in den Kaffeehäusern zu belauschen.
Selten verbrachten Damen der gehobenen bürgerlichen Gesellschaft so viel Zeit in Kaffeehäusern wie im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Auch heute noch verabredet man sich in einem Café, um Neuigkeiten auszutauschen, weiß der Kaffee-Kenner Frank Kessel:
- O-Ton Frank Kessel: "Was dem Kaffee weiterhin anhaftet, ist die Kommunikation. Ob Sie nun als Kaffeeklatsch an einem Tisch im Tantenstil bedient werden, oder ob man über gewisse News des Tages spricht und es einfach als Zeitgeist pflegt. Kaffeeklatsch bedient das eine, als auch das andere. Die Tanten und auch den Geschäftsmann."
Sprecher: Das Verb "klatschen" im Sinne von leichterem Schlagen ist eine Wortbildung, die Geräusche nachahmt. Es ist erst seit dem Neuhochdeutschen bekannt. Auch die Bedeutungsvariante schwatzen, das heißt gern und viel – zumeist über andere Leute – reden, überträgt keinen ursprünglich bildlichen Wortsinn, sondern ahmt ebenfalls den Klang solchen Redens akustisch nach. Die Vorliebe, auf unangenehme Weise Persönliches über andere zu verbreiten, weist die Sprache vornehmlich Frauen zu, spricht sie doch von Klatschweibern oder Klatschbasen. Aber auch Männer können Klatschmäuler sein. Man darf sogar einen Mann Klatschweib nennen.
Frauen treffen sich zum nachmittäglichen Kaffeeklatsch. Tun sie das besonders gern und häufig, werden sie zu Kaffeetanten. Diese seit dem 20. Jahrhundert auch literarisch bezeugte Wendung ist ebenfalls auch auf Männer anwendbar, sie hat den seit dem 18. Jahrhundert üblichen Ausdruck der Kaffeeschwestern, der analog zu den Betschwestern gebildet worden war, verdrängt.
Erzählt jemand bei solchen Treffen statt Neuigkeiten alte dumme Geschichten, so ist das kalter Kaffee, also etwas, das niemanden interessiert. Selten vermag eine Kaffeetante aus dem Kaffeesatz zu lesen. Diese Fähigkeit ist nur Wahrsagern und Hellsehern vorbehalten. Erwähnenswert ist, dass das Wort Kaffee arabischer Herkunft ist und ursprünglich Wein bedeutete. Es wandelte seinen Wortsinn, als der Kaffee den Wein infolge von Mohammeds Weinverbot verdrängte. Das Wort Kaffee kam über die türkische Sprache nach Europa. Nach Deutschland gelangte es 1688 aus dem Französischen.
Sprecherin: Noch immer trinkt man den Kaffee gerne in Gemeinschaft. Aber der Alltag ist hektischer geworden. Auf die geringe Zeit ihrer Kunden haben sich viele Kaffeehäuser inzwischen eingestellt. Frank Kessel ist mit seinem Espresso Studio in der Stadt Bonn diesem Trend gefolgt und bietet Kaffee nur noch an Stehtischen an. Nichts soll hier an die frühere deutsche Biederkeit beim Kaffeetrinken erinnern. Stattdessen werden 160 verschiedene, meist italienische Kaffee-Sorten. Außerdem werden teure Maschinen zum Kaffeekochen verkauft. Klaus Schütz arbeitet im Espresso-Geschäft. Seiner Meinung nach ist das schwarze Getränk zur Zeit sehr beliebt.
- O-Ton Klaus Schütz: "Ein schweres Modegetränk ist Latte Macchiato, wobei da der Hauptanteil Milch ist. Das heißt also, es gehört nur ein kleiner, kurzer Espresso in ein großes Glas Milch oder eine große Tasse. Latte Macchiato ist zwar sehr beliebt, aber nicht unbedingt das Getränk, das der Kaffeekenner schätzt, weil es eben doch nur eine heiße Milch ist. Ich denke, dass das mit der amerikanischen Star-Bucks-Welle zu uns rübergeschwappt ist, viel Milch und wenig Kaffee, und ich denke, dass man darüber auch nicht die Kaffee-Qualität beurteilen kann, weil doch sehr viel Milch das Aroma auch abdeckt und dann gar nicht mehr der Kaffee im Vordergrund steht."
Sprecher: Das Spiel der Meereswellen, die sich empor wölben und wieder sinken, ist Bildhintergrund mehrerer Redensarten. Schlägt ein Ereignis hohe Wellen, hat es Aufsehen erregt und wird wahrscheinlich spürbare Auswirkungen haben. Glätten sich die Wellen oder Wogen hingehen wieder, klingt die Erregung ab. Wer prahlt, gibt eine mächtige oder gehörige Welle an. Ihn fordert man auf, keine Welle zu machen, oder sagt ihm mit ironischer Distanz: "Noch eine Welle mehr, und du kannst schwimmen!"
Eine einzelne Welle, die sich auf etwas oder jemanden zu bewegt und sich irgendwann am Ufer bricht oder im Sand verebbt, ist zum Synonym für kurzzeitige Erscheinungsformen und Trends geworden. Das Hauptwort Welle dient hierbei als Grundwort, dem das Bedeutungswort zugefügt wird. Weil die amerikanische Kaffee-Kette Star-Bucks in immer mehr deutschen Städten zu finden ist, kann man so zum Beispiel von einer regelrechten Star-Bucks-Welle sprechen. Man spricht auch von einer Mode-Welle.
Sprecherin: Besonders beliebt sind zur Zeit italienische Kaffee-Sorten. Im Gegensatz zum deutschen Bohnenkaffee assoziieren die Deutschen mit Capuccino und Espresso mediterrane Lebenskultur. Die Sehnsucht nach dem letzten Urlaub in Italien oder nach einem anderen Land am Mittelmeer wird daheim häufig in Form eines italienisch zubereiteten Kaffees gestillt.
- O-Ton Frank Kessel: "Ich denke, das geht durch alle Schichten, weil jeder mal nach Italien fährt und mit dem Thema Espresso konfrontiert wird und ihn auch dort genießen darf, und ich freue mich täglich an der Kundschaft, die einfach so bunt gemischt ist. Vom Arbeiter bis zum Geschäftsmann und die Ärzte, Mediziner, die alle Spaß an diesem heißen aromatischen Getränk finden. Also ich denke nicht, dass das ein Schicki-Micki-Getränk ist, sondern dass jedermann einfach Spaß daran gefunden hat. Es ist nicht ausschließlich einer bestimmten Schicht zuzuordnen."
Sprecher: Das Wort schick ist semantisch wie historisch interessant. Entstanden ist es im 14. Jahrhundert im Niederdeutschen und bezeichnete neben dem heute noch gebräuchlichen Adjektiv schicklich eine positive moralische Qualität. Der französische Begriff "chic" stammt aus diesem deutschen Wort und wurde im 19. Jahrhundert ins Deutsche rückentlehnt mit der neuen französischen Bedeutung: modisch, elegant. Das neudeutsche Wort Schickeria, das mit negativer Bedeutung die in Mode und Lebensstil tonangebende Gesellschaftsschicht bezeichnet, stammt aus dem Italienischen und meint: Eleganz, Schick.
Die umgangssprachliche Wortschöpfung Schicki-Micki ist eine Verballhornisierung, die durch die Häufung des Vokals "i" ein übertriebenes gestelztes Verhalten akustisch nachahmen und damit kritisieren will. Das Wort Schicki-Micki lässt sich mit nahezu jedem Substantiv kombinieren, beispielsweise zur Schicki-Micki-Gesellschaft oder zum Schicki-Micki-Gehabe; einfach alles kann schicki-micki sein. Wenn das Wort im 19. Jahrhundert auch noch nicht gebräuchlich war, so kann man über Felix Krull doch sagen, dass er sich zur Schickeria zugehörig fühlt, als er sich für ein paar Tage in Paris aufhält:
- Zitator: "Wohlgesättigt beschloss ich, vor einem Café des ‚Boulevard des Italiens‘ zu sitzen und den Verkehr zu genießen. So tat ich. In der Nähe eines wärmenden Kohlebeckens nahm ich an einem Tischchen Platz, trank rauchend meinen Double und blickte abwechselnd in den bunten und lärmenden Zug des Lebens dort vor mir und hinab auf den einen meiner bildhübschen neuen Knöpfstiefel, den ich bei übergeschlagenem Bein in der Luft wippen ließ." (Thomas Mann, "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull")
Sprecherin: Inzwischen gibt es immer mehr Cafés, die das schwarze Getränk zu etwas Besonderem adeln, es auszeichnen wollen. So findet man in immer mehr Buchhandlungen oder auch hochwertigen Boutiquen ein kleines Café. In Bonn gibt es zum Beispiel die Libresso-Bar, die sich mitten in einer größeren Buchhandlung befindet. Allein der Name spielt auf die Umgebung des Cafés an, erklärt Marcel Römisch, Inhaber der Libresso-Bar.
- O-Ton Marcel Römisch: "Das kommt von liber, das Buch, und Espresso. In diesem Zusammenhang heißt das Café in der Buchhandlung Libresso-Bar. Das denk ich, ist ganz passend. Da unser Schwerpunkt im Kaffeebereich und auch auf Espresso-Kaffee liegt und der hier auch am besten geht, dachten wir, da passt dann am besten der Name zu. Ist nicht allein auf unserem Mist gewachsen, da hat uns eine Werbeabteilung geholfen."
Sprecher: Ist etwas nicht auf eigenem Mist gewachsen, ist es kein geistiges Eigentum, sondern zeigt fremden Einfluss. Das redensartliche Bild geht aus von einem Bauern, der niemals fremden Dünger zu kaufen brauchte, sondern alles auf eigenem Mist wachsen ließ. Bei Goethe heißt es:
- Zitator: "Diese Worte sind nicht alle in Sachsen
Noch auf meinem eigenen Mist gewachsen,
doch was für Samen die Fremde bringt,
Erzog ich im Lande gut gedüngt."
Sprecher: Redet man Mist, so redet man Unsinn. Baut man Mist, so vollbringt man eine sehr schlechte Leistung oder begeht eine schlimme Tat. Heiratet jemand über den Mist, heiratet er in die Nachbarschaft ein. Diese Redensart ist in ländlichen Gebieten gebräuchlich, wo sich der Misthaufen noch vor dem Haus befindet. Ein Sprichwort sagt: "Heirat über´n Mist, dann weißt, wo du bist".
Sprecherin: Die Kunden von Marcel Römisch sind in der Regel Leute, die gerne und viel lesen und ihren Aufenthalt in der Libresso-Bar nutzen, um in ein paar Büchern zu blättern.
- O-Ton Marcel Römisch: "In der Regel natürlich sehr viele Leseratten, aber mittlerweile auch viele Studenten, ältere Gäste, die teilweise sich das Buch nicht kaufen, sondern hier im Laden lesen. Sie nehmen sich das Buch jeden Tag, lesen 20 Seiten, tun ein Lesezeichen rein und stellen das wieder zurück und trinken dabei ne Tasse Kaffee." (03´13´´)
"Interessant ist auch, dass am Samstag viele Männer hier geparkt werden und die Frauen in der Zeit hier einkaufen gehen in Ruhe, ohne gestört zu werden, ohne, dass vielleicht jemand auf die Uhr guckt. Die stehn dann hier und trinken Kaffee und machen eine Art Frühschoppen. Da wird über Politik geredet, das ist ganz interessant zu sehen."
Sprecher: Als Leseratte bezeichnet man umgangssprachlich wie scherzhaft jemanden, der gerne und viel liest. Das Bildwort der Ratte verweist auf das unersättliche, alles fressende Nagetier. Das Wort Park stammt aus dem Französischen; es drang in frühneuhochdeutscher Zeit über den Niederrhein ostwärts. Aber erst im 18. Jahrhundert setzte sich unter englischem Kultureinfluss in ganz Deutschland der Begriff Park als Bezeichnung für eine großflächige waldartige Gartenlandschaft durch - im Gegensatz zum Rokokogarten französischen Geschmacks. Seit es Fahrzeuge gibt, ist auch das Wort Fuhrpark bekannt, das die Gesamtheit der Fahrzeuge bezeichnet, die jemand oder eine Institution besitzt. Ursprünglich bezeichnete der Begriff den Ort, an dem jene Vehikel vereinigt standen. Aus dem Englischen übernommen ist das Verb parken. Man parkt sein Auto, das heißt, man stellt es irgendwo ab. Neuerdings ermöglicht die Umgangssprache auch, Menschen zu parken. Man parkt, scherzhaft, sein Kind bei einer Kinderfrau, seine alte Mutter oder seinen alten Vater bei Freunden oder Nachbarn, die Ehefrau oder den Ehemann im Café oder Bistro. Menschen zu parken meint also, sich für kurze Zeit ihrer Gesellschaft zu entledigen.
Sprecherin: Weil das Konzept des Cafés im Buchhandel so gut läuft, will Marcel Römisch in diesem Sommer sein Angebot erweitern und seinen Kaffee auch vor der Buchhandlung auf einer Terrasse servieren lassen. Damit möchte er auch Leute ansprechen, die ihren Kaffee nicht unbedingt in Verbindung mit guter Lektüre, sondern einfach bei gutem Wetter genießen möchten.
- O-Ton Marcel Römisch: "Sie können sich dann nicht ein Buch nehmen und dabei Kaffee trinken, das geht draußen nicht, weil dann müsste man da extra fünf Detektive hinstellen. Also das wird dann schon mehr Laufpublikum sein, natürlich auch viele Studenten. Wir haben die Uni direkt gegenüber, das zieht natürlich. Die Deutschen lieben das halt, in der Sonne zu sitzen, und da wollen wir uns ein bisschen was vom Kuchen abschneiden."
Sprecher: Der Kuchen ist seit alters her ein besonderer Festtagsgenuss, mit dem früher sorgsam umgegangen und der familiengerecht aufgeteilt wurde. Auch im übertragenen Sinne meint der Kuchen Positives, wobei er sich auf Konkretes wie Abstraktes beziehen lässt. Man kann sich eine gehörige Scheibe vom Kuchen abschneiden oder sich ihn mit anderen teilen, das heißt, man sichert sich seinen Anteil oder teilt einen Gewinn untereinander auf. Gern werden die Wendungen auf die Politik bezogen, wenn Parteien oder Interessenverbände vom sozialen oder ökonomischen Kuchen ihren Anteil fordern.
Sprecherin: Im Straßencafé hinter einem Buch oder einer Zeitung versteckt, dem Treiben der Leute zuschauen. Die Pariser Cafés des 19. Jahrhunderts faszinierten Felix Krull, weil sie ihm die Welt ins Kaffeehaus brachten:
- Zitator: "Was braucht ein Pariser in die Welt zu gehen? Sie kommt ja zu ihm. Wenn ich um die Zeit des Theaterschlusses auf der Terrasse des "Café de Madrid" sitze, so habe ich sie bequem zur Hand und vor Augen." (Thomas Manns "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull")
Sprecherin: Seit dem 16. Jahrhundert hält die Begeisterung für das heiße schwarze Getränk nun schon an. Kaffee soll außerordentlich klare Wirkungen im Kopf hervorbringen; Denkprozesse laufen schneller ab, der Geist wird wacher, das Kombinations- und Reaktionsvermögen nimmt zu. Neben dem besonderen Geschmack sind diese Wirkungen wohl der Grund dafür, dass der Kaffee mehr als eine bloße Modeerscheinung, eine Mode-Welle ist, sondern kulturprägend auf die bürgerliche Gesellschaft gewirkt hat. Aber, nach wie vor, hütet die Kaffee-Bohne ihre letzten Geheimnisse, denn noch immer ist die Zusammensetzung aus Hunderten von ätherischen Substanzen nicht restlos erkannt.
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