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Behördensprache

Fremd im Land, und dann auch noch Kontakt mit einem Amt. Die sachliche Amtssprache vermindert die sprachlichen Möglichkeiten zusätzlich. Behördensprache in Alltagsdeutsch.
Behördensprache
- O-Ton: "Tag. Ich spreche schlechtes Deutsch. Ich komme aus England, und ich muss mich hier melden. Was muss ich machen?" / "Ja, zunächst: Wo wohnen Sie, haben Sie schon ‘ne Wohnung in Köln?" / "Ich hoffe. Ich habe einen Freund in Nippes, und er sagte, kannst ‘ne Wohnung haben, aber vielleicht ein oder zwei Wochen." / "Ja. Sie wollen auch hier bleiben?" / "Ja ja ja." / "Also länger als drei Monate bleiben?" / "Ja, ich bin schon einige Wochen hier. Ach so, ja. Dann sollten Sie sich anmelden, zunächst mal bei ihrem Freund." / "Mein Freund weiß, dass ich hier bin." / "Ja, okay." / "Ich bin bei meinem Freund gemeldet." / "Sie sind schon angemeldet?" / "Bei meinem Freund."
Sprecherin: Eine alltägliche Szene in Deutschland heute: Graham ist Ausländer, genauer: Brite. Und er möchte längere Zeit in Deutschland bleiben. Also erkundigt er sich bei einer Ausländerbehörde nach den rechtlichen Bestimmungen. Die Mitarbeiterin der Behörde gibt geduldig Auskunft. Trotzdem ist schnell ein Missverständnis entstanden:
- O-Ton: "Ja. Dann sollten Sie sich anmelden, zunächst mal bei ihrem Freund. Mein Freund weiß, dass ich hier bin." / "Ja, okay. Ich bin bei meinem Freund gemeldet. Sie sind schon angemeldet?" / "Bei meinem Freund."
Sprecher: Die Behördenangestellte hat sich bemüht, die Situation für den Fremden zu entkrampfen. Sie hat eine vereinfachte Umgangssprache gewählt. Umständlicher, aber sachlich richtiger wäre gewesen:
Sprecherin: Sie müssen sich zuerst polizeilich anmelden, damit die Behörden wissen, wo Sie wohnen. Sie wohnen bei ihrem Freund? Dann müssen Sie die Adresse ihres Freundes als Anschrift angeben. Sie müssen sich unter der Adresse ihres Freundes polizeilich anmelden. Das macht die Meldebehörde.
Sprecher: Es ist freilich nicht ausgeschlossen, dass dieser Hinweis bei Graham noch mehr Verwirrung ausgelöst hätte. Als Briten sind ihm unsere Meldeverfahren nicht bekannt, denn gerade in den englischsprachigen Ländern ist das Meldeverfahren weniger kompliziert als in Deutschland, weniger preußisch.
- O-Ton: "Meine Erfahrung als solche, als Brite, als ich nach Deutschland kam, hatte ich keine Ahnung, was ein Behördengang bedeutete, zumal bei uns gibt es keine Meldepflicht, es gibt keine Ausweispflicht. Zum Beispiel unsere Hunde werden nicht mal angemeldet. Und wenn man ein Auto kauft, das hat bereits sein Nummernschild. Dann wurde mir erklärt, ich müsste in sämtliche Ämter. Dann begann mein Horror, weil mein Deutsch war wirklich sehr begrenzt. Ich konnte 'raus!', 'eine kleine Nachtmusik' und 'ein Bier, bitte!' - das war aber alles."
Sprecherin: Da Graham sich bei deutschen Behörden durchaus mit seiner englischen Muttersprache weiterhelfen kann, war das kleine Missverständnis sehr schnell aus der Welt geschafft. Der Kampf mit den Formularen konnte also beginnen. Auch hier musste Graham seine Erfahrungen sammeln:
- O-Ton: "Der ganze Berg von Bescheinigungen, Erlaubnisse, Gestattungen und so weiter, es war sehr schwer, und es ist immer noch ziemlich schwer, das zu vergleichen, weil es gibt bei uns eben keinen Vergleich, man muss aber in Deutschland all diese Gestattungen, Erlaubnisse und so weiter haben."
Sprecherin: Seit dem Mittelalter hat sich die Sprache der Verwaltung entwickelt. Verwaltung - das meint die Tätigkeit einer Person, die die Rechte einer anderen Person vertritt, also deren Belange verwaltet. Auf den Staat übertragen heißt das, dass bestimmte Lebensbereiche nach Richtlinien und Gesetzen geordnet werden. Dabei bedient sich die Verwaltung auch der Sprache der Gesetze, der Gerichte und Kanzleien. Und da sie möglichst sachlich sein soll und weil sie mit abstrakten Begriffen umgeht, ist die Kanzleisprache schwerfällig. Je mehr der Bürger verwaltet wird, desto schwerfälliger wird die Amtssprache. Anders als die Gewohnheitssprache hat sie also ihren eigenen Stil:
Sprecher: Die charakteristische Eigenart der deutschen Kanzleisprache ist der Rückzug auf das Substantiv. Freimachung, Befürwortung, Gewährleistung - das sind alltägliche sprachliche Freistilübungen. Im Laufe der Zeit werden sie zur Gewohnheit und zum Bestandteil der Alltagssprache. Dass sich dabei gelegentlich der Sinn ändert, ist nicht zu vermeiden: So meinte frei machen das Frankieren einer Postsendung. Mit einer Briefmarke wurde ein Brief für die Beförderung durch die Post frei gemacht. Dagegen meint Freimachung im amtlichen Sinne heute eher die Räumung zum Beispiel einer Wohnung - oder die Beseitigung von Unrat. Soll ein Anliegen gefördert werden, so wird von Amts wegen eine verbindliche Empfehlung ausgesprochen: die Befürwortung. Ist über einen Antrag entschieden, werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet, muss ihre Durchführung sichergestellt werden, spricht die Behörde von Gewährleistung. Das ist eine Garantie.
Sprecherin: Hinter diesen Eingriffen in der Sprache steht ursprünglich das Streben nach Ökonomie, nach Einsparung, zu dem Zweck, Informationen soweit wie möglich zu verkürzen. In bestem Amtsdeutsch könnte es in einer Dienstanweisung also lauten: "Die Gewährleistung der Freimachung obliegt nach Befürwortung derselben der örtlichen Behörde." Diese Art der sprachlichen Einsparung führt von so gängigen Wortbildungen wie Donaudampfschifffahrtsgesellschaft über die Busbuchthaltestellenanlegung bis zur Beeinträchtigungsvermeidung.
Sprecher: Die Beeinträchtigung des Verständnisses lässt sich jedoch kaum vermeiden. Im Gegenteil: Bildet man aus derlei Wortkoppelungen ganze Sätze, hat der betroffene Bürger mehr als zuvor das Gefühl, dass der lebende Mensch hinter dieser Amtssprache auf der Strecke bleibt. Ein Postbeamter, der schlicht und volksnah schriebe: "Wir bitten Sie, Ihr neues Telefonbuch abzuholen", wäre kein guter Staatsvertreter. Um seiner hoheitlichen Rolle gerecht zu werden, schreibt er also: "Wir bitten Sie, die Abholung Ihres Fernsprechverzeichnisses vorzunehmen."
- O-Ton: "Gerade bei Formel-Sprache, wenn man einen wahnsinnigen Zusammenhang von Buchstaben zusammenklatscht, und da kommt ein Wort raus zum Beispiel wie Aufenthaltsberechtigung, da kann man sich in seiner eigenen Muttersprache überhaupt nix darunter vorstellen - Aufenthalt, gut: Aufenthalt. Aber ob es 'ne Berechtigung, 'ne Erlaubnis, 'ne Befugnis ist, alles natürlich ein bisschen verwirrend und auch schwierig, das geklärt zu bekommen von den Behörden als solche."
Sprecherin: Bei allen kritischen Einwänden kann Graham sich über mangelnde Freundlichkeit bei der Beratung durch die Sachbearbeiterin nicht beklagen. Die Umgangsformen zwischen den Behörden und den Bittstellern haben sich entspannt, aber die undurchdringliche Dichte der Begriffe ist geblieben - und wächst mit jeder Verordnung.
- O-Ton: "So. Zuerst meine Wohnung." / "Anmelden. Und dann auf..." / "....kommen Sie wieder zur mir für Ihre Aufenthaltserlaubnis."
Sprecherin:
Die Aufenthaltserlaubnis: Sie ist das Zauberwort für all die Ausländer in Deutschland.
Sprecher: Damit es keine Missverständnisse gibt: Da sind Gastarbeiter, die vor allem in den sechziger Jahren für die alten Bundesländer als Arbeiter angeworben wurden. Sie leben inzwischen mit ihren Familien in zweiter und dritter Generation hier. Und dann sind da Nachziehende: Aussiedler, Flüchtlinge, Heimatlose, AsyIs Suchende und Angehörige der EU-Staaten - wie Graham. Jede dieser Gruppen erfährt in der Regel eine andere Betreuung und durchläuft eigene gesetzliche Verfahrenswege, die mehr oder weniger umständlich sind. Graham hat's am besten: Er kommt aus dem nördlichen Europa und wird hierzulande kaum noch als Ausländer betrachtet.
- O-Ton: "Das waren früher vielmehr so die Südländer, Spanien, Türkei, Griechenland und so weiter. Wobei, sobald Spanien natürlich das große deutsche Urlaubsziel war, und auch griechische Restaurants, türkische, italienische hier in Deutschland auftauchten und das nicht zu knapp, hat man bessere Einsicht, so dass dieser Ausdruck Ausländer verschwand vom Großraum Europa und betraf mehr oder weniger entferntere Länder, zum Beispiel afrikanische Staaten und so weiter. Diese waren dann unsere richtigen, puren Ausländer."
Sprecher: Bodegas, also spanische Weinschänken, Schischkebab, der türkische Spieß aus Hammelfleisch, oder Retsina, der griechische Wein, der stark geharzt ist - das alles ist geläufig für deutsche Ohren. Wir haben uns an die Fremden gewöhnt, zumindest an die europäischen, zumindest kulinarisch. Sie bestimmen unseren Alltag mit; und schließlich sind die Deutschen durch den Tourismus ja auch weltoffener geworden. Dennoch werden die Sprachprobleme kaum geringer, denn immer mehr Menschen kommen aus immer mehr Ländern und müssen immer mehr sprachliche Barrieren überwinden.
Sprecherin: Es geht dabei in erster Linie um Begriffe, die für uns selbstverständlich sind, mit denen der betroffene Ausländer aber nichts anfangen kann. Auch die Behörden reagieren darauf. Allerorten bemüht man sich, Schwellenängste abzubauen, sprachliche Schwierigkeiten zu überwinden und aus Fehlern zu lernen. Dolmetscher werden eingesetzt in den landläufigen Fremdsprachen, und man korrigiert die Amtssprache, zumindest althergekommene Begriffe, da, wo Missverständnisse programmiert sind. Denn - wie gesagt - es gibt Länder, die zum Beispiel unser Meldeverfahren gar nicht kennen und auch keine Ausweispflicht - wie England.
O-Ton: "Wenn Sie zum Beispiel einen Asylbewerber nach seinem Personalausweis fragen, dann wird er Sie ziemlich verständnislos ansehen und sagen: 'Was ist das?' Wenn Sie ihn konkret nach dem fragen, was ihm sein eigener Staat in die Finger gibt, nämlich nach der Carte d'Identité, dann weiß er schon wieder etwas, was damit gemeint ist. Oder Sie fragen ihn nach seinem Pass - in englisch, französisch. Dann wird er auch wissen, um welches Papier es uns geht."
Sprecherin: Der ausländische Antragsteller bekommt also, nachdem er amtlich vorstellig geworden ist, sein Formular. Den Asylantrag oder den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in Form einer Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltsbewilligung oder Aufenthaltsbefugnis - je nachdem.
O-Ton: "Aufenthalt, aber ob es ‘ne Berechtigung, ‘ne Erlaubnis, ‘ne Befugnis ist - alles natürlich ein bisschen verwirrend und auch schwierig, das geklärt zu bekommen von den Behörden als solche."
Sprecher: Genehmigung, Erlaubnis, Berechtigung, Bewilligung, Befugnis - in der Alltagssprache meinen alle diese Begriffe das Gleiche. In der genau definierten Amtssprache aber sind mit den unterschiedlichen Begriffen auch große rechtliche Unterschiede verbunden: Für seine erste Einreise benötigt der Fremde ein Visum, das drei Monate gilt. Verfolgt er bei seinem Aufenthalt auf bestimmte Dauer einen bestimmten Zweck, zum Beispiel ein Studium oder eine befristete berufliche Tätigkeit, ist die Aufenthaltsbewilligung vonnöten. Der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen wird mit der Aufenthaltsbefugnis gestattet. Nicht an bestimmte Zwecke gebunden ist die Aufenthaltserlaubnis. Dazu muss der Ausländer neben ausreichendem Wohnraum nachweisen, dass er sich mündlich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann.
Sprecherin: Nun geht's unserem Briten Graham ja noch relativ gut auf dem ganzen Verfahrensweg. Für’s Erste kann er sich notfalls in seiner Muttersprache weiterhelfen; die Kultur ist ihm wenig fremd, und der Formularkampf ist für ihn viel geringer als beispielsweise für einen Türken.
Sprecher: Die Vereinfachung des Gesprächs mit einem ausländischen Partner führt gerne dazu, die Sprache schnell auf das Notwendigste zu reduzieren. Um den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, wird schon bei der Anrede das vertrauliche 'du' benutzt.
- O-Ton: "Ich habe gedacht, 'Sie' beim Begrüßung: Da kommt Herr Schmidt herein und sagt: 'Schönen guten Tag. Herr Schmidt, wie geht es Ihnen? Sobald er aber drinnen war, dann war's so in den vier Wänden, und er sagt: 'Gut, Wie geht's dir jetzt? Das war natürlich eine große Fehler, und man merkte ganz schnell, wie eine Deutsche und besonders natürlich eine Beamte, sehr beleidigt ist, wenn die geduzt werden."
Sprecherin: Falsche Vertraulichkeit, Geringschätzung oder Vereinfachung? Die sprachliche Abwicklung findet in Amtsstuben in der Regel nicht auf gleichem sprachlichen Niveau statt. Denn Beamte sind nicht nur an feste Regeln gebunden, sie kennen diese Regeln auch besser als der Bürger und haben deshalb einen Vorteil. Die sachliche Amtssprache und das sachliche Verfahren vermindern die sprachlichen Möglichkeiten zusätzlich. Und je geringer die sprachlichen Möglichkeiten, desto kleiner der zwischenmenschliche Spielraum.
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