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Alltagsdeutsch (07/04) 17.02.2004 "Wörter französischer Herkunft"

Etepetete oder chic?
Wörter französischer Herkunft
- O-Ton Wolfgang Hamm: "Meine Großmutter war vielleicht sogar eine vornehme Frau, jedenfalls dachte ich als Kind, dass sie sehr vornehm wäre, weil sie hatte so merkwürdige französische Ausdrücke, die ich gar nicht verstand. Zum Beispiel konnte sie sagen "Chaiselongue", und damit war ein ganz normales Sofa gemeint. Natürlich sprach sie immer von "Trottoir" oder auf der "Chaussee", das war die Straße. Oder so Ausdrücke wie "Plafond". Also habe ich nie mehr später gehört, das war eigentlich die Decke, die Decke oben am Zimmer. Ja. Oder sie konnte sogar sagen "Paravan", das war auch sehr merkwürdig. So eine Art Wand-Schutz-Schirm. "Paravan"."
- O-Ton Karin Griesbauer: "Bonbon, Bonmot, Chaiselongue, Chemisettechen, Trottoir. Also ich komme aus dem Hessischen, meine Oma und meine Mutter kommen aus der Gegend von Wetzlar. // Und in Hessen war ja damals lange französische Besatzung, und damit bin ich eigentlich aufgewachsen: "Der liegt auf dem Chaiselongue" oder "Sie geht auf dem Trottoir" oder so ein Hemdeneinsatz, so ein Spitzeneinsatz, das Chemisettechen, unten drunter. / Ist so Bestandteil der Alltagssprache. Später habe ich mit Spaß bemerkt, dass es aus dem Französischen kommt und auch so ein bisschen verballhornt und mit hessischem Dialekt versehen ist."
Sprecher 1: Mon Dieu, lieber Gott, Dialekt! Hier in Sanssouci parlieren wir ganz elegant, naturellement en francais und entre nous, nicht wahr Monsieur Voltaire? Deutsch, das ist doch die Sprache der Pferdeknechte! Aber bitte, wer ein Faible dafür hat, wer’s mag. D’accord, in Ordnung. Jedem Tierchen sein Plaisierchen.
Sprecherin: Schöngeist und Bonvivant, Förderer der Künste und der Wissenschaft. Der deutsche König Friedrich der Große weihte im Jahr 1747 sein Schloss Sanssouci – zu Deutsch, ohne Sorge – in Potsdam ein. Hier lebte er den Traum von einer heilen Welt, speiste mit Generälen, Diplomaten, widmete sich der Musik, Schriftstellerei und Philosophie. Alle Werke großer Philosophen sammelte er in seiner Bibliothek in französischer Sprache. Und natürlich führte er vorzugsweise Gespräche in derselben.
- O-Ton Kerstin Kilanowski: "Französische Ausdrücke in der deutschen Sprache bedeuten für mich immer etwas Höfisches, Vornehmes, vielleicht auch leicht Anzügliches. / Dann fallen mir noch Stoffe ein. So Materialien, wie Chiffon, Satin, oder Gobelin, so eine Stickerei, auch was sehr Höfisches, Vornehmes."
Sprecherin: Ob vornehm, gar höfisch, oder ganz alltäglich. Französische Wörter, so genannte Gallizismen, haben ihren Platz in der deutschen Sprache seit Jahrhunderten. Apropos, übrigens, so ganz en passant, nebenbei, es war schon im Mittelalter en vogue, modern, vielfältige kulturelle und literarische Beziehungen zur französischen Ritterschaft zu pflegen. Das Wort Turnier, sportlicher Wettkampf, verweist zum Beispiel darauf. Es ist aus dem altfranzösischen tornelier entlehnt, was soviel bedeutet wie: die Pferde im Kreis laufen lassen, am ritterlichen Kampfspiel teilnehmen.
Doch nicht nur in den Bereichen Sport und Spiel hatte die französische Sprache einen großen Einfluss auf den deutschen Wortschatz. Durch das Vorbild des Hofes unter Ludwig XIV genoss das Französische vor allem beim deutschen Adel höchstes Prestige, pardon, Ansehen. Vergnügen, Mode, Küche, doch auch Diplomatie, Politik, Recht und Militär – aus diesen Gebieten stammen die meisten Lehnwörter aus der französischen Sprache.
Sprecher 2: Ballett, Chic, Dessert, Garantie, Kabinett, Plädoyer, Bajonett.
Sprecherin: In der höfischen Zeit wurden auch die ersten Verben mit der Infinitiv-Endung –ieren gebildet.
Sprecher 2: engagieren, revanchieren, arrangieren, soupieren, abonnieren.
- O-Ton Kerstin Kilanowski: "Leckeres Essen, alles was vornehm ist, vor allem Mode auch. Chic, Eleganz. Es gibt zum Beispiel so Handtäschchen, so kleine Beutel, die heißen Pompadour. Oder die Dame geht zum Coiffeur. Oder sie hat ein Kostüm. Möglicherweise hat sie einen Rock, über dem sie ein Chasuble trägt. Das sind lauter Dinge, die mit Eleganz zu tun haben. / Und natürlich auch das Essen. Wenn man ganz fein speisen will, dann geht man zum Souper. / Es gibt vielleicht ein Filet mit einer Sauce."
Sprecher 2: Tja, das kann ich mir leider nicht oft leisten.
Sprecherin: Auch wer mittags die Kollegin fragt, "Gehen wir zusammen in die Kantine?" bedient sich eines französischen Lehnworts. Im 19. Jahrhundert hatte es noch die Bedeutung einer Soldatenschenke, französisch cantine, doch bereits im 18. Jahrhundert war es in Deutschland in der Bedeutung von "Feldflasche" im Umlauf.
Sprecher 2: Moment mal. Kantine, das ist doch ein ganz normales deutsches Wort, und es klingt auch gar nicht französisch.
Sprecherin: Wir haben die Schreibweise und Aussprache eingedeutscht. Auch die Garage oder Garderobe klingen aus deutschem Mund nicht mehr französisch. Beides übrigens abgeleitet vom französischen garer, in sichere Verwahrung nehmen. Bei Wörtern wie Kolonne oder Veteran, beide aus der Militärsprache, denken wir nicht daran, dass sie französischen Ursprungs sind. Und die Vitrine? Ja, auch sie ist französischer Herkunft. Das gläserne Möbel, in dem wir vorzugsweise Gläser zur Schau stellen, hat seinen Namen von französisch vitre, Glasscheibe. Möbel, übrigens auch ...
Sprecher 2: Nein, sag’s nicht!
Sprecherin: ... von meuble, Einrichtungsgegenstand. Oder Garantie, ein Wort aus der Diplomatensprache. Es bedeutet Bürgschaft, Sicherheit und ist vom französischen Wort garant, Gewährsmann abgeleitet. Vor Gericht hält der Staatsanwalt ganz selbstverständlich ein Plädoyer und der Verteidiger plädiert auf Freispruch. Beide Wörter sind aus dem Französischen, von plaider, vor Gericht verhandeln, entlehnt.
Sprecher 2: Und ich dachte immer, französische Wörter erkennt man sofort an der Aussprache: Boulevard und Chaussee, Liaison und Pendant. Oder es gibt auch französische Ausdrücke wie enfant terrible, jemand, der gegen Konventionen verstößt.
Sprecherin: Comme ci, comme ca. Kommt drauf an. Sicher, viele Wörter französischer Herkunft erkennen wir an der Aussprache. An den Endungen –eur, –ent oder ee zum Beispiel. Aber nehmen wir mal den Friseur. Mittlerweile hat sich ja auch die eingedeutschte Schreibweise mit Umlaut etabliert. Jeder würde sagen, dass Friseur ein Wort französischer Herkunft ist. Es kommt zwar vom französischen friser, was so viel heißt wie kräuseln, doch im Französischen heißt der Haarkünstler coiffeur, bei uns übrigens als Fremdwort in Gebrauch. Der Friseur ist eine französierende Bildung, wohl weil seit dem 17. Jahrhundert die Haar- und Bartpflege einen starken Einfluss aus Frankreich erhalten hat. Die meisten Wörter aus diesem Bereich sind auch tatsächlich aus dem Französischen entlehnt: rasieren, Pomade oder Perücke zum Beispiel.
Sprecher 2: Mir schwirrt langsam der Kopf! Ich hab‘ das Gefühl, als ob die deutsche Sprache eigentlich hauptsächlich aus französischen Wörtern besteht! Jetzt fallen mir noch einige Wörter ein: Parfum! Abonnement! Frikassee! Das hört ja überhaupt nicht mehr auf!
- O -Ton Kerstin Kilanowski und Wolfgang Hamm: "Seltsamerweise gibt’s ja auch Ausdrücke, die mit dem Körper zu tun haben. Also die Taille, der Teint."
Wolfgang: "Man sagt auch die Visage. Kerstin: Ja, das ist ja nun eine Abwertung. -
Und man sagt auch die Figur."
Kerstin: "Aber Figur kommt glaube ich aus dem Italienischen."
Wolfgang: "Alles Französische kommt aus dem Lateinischen. Figure, figura."
Sprecher 1: Unkundigkeit, Sprachfaulheit und Vornehmtuerei! Damit muss Schluss sein! Ich setze mich entschieden für die Reinhaltung unserer deutschen Sprache ein. Wo soll diese ganze Überfremdung denn noch hinführen? Ab sofort schlage ich vor, französische Wörter durch deutsche zu ersetzen. Unsere Sprache ist reich und ausdrucksstark! Es ist endlich an der Zeit, dass wir uns ihrer bedienen! Haarkräusler statt Friseur, Geschichtsel statt Roman....
Sprecher 2: Lächerlich! Soll ich demnächst meinem Kumpel erzählen: "Du, ich hab‘ letzte Woche einen tollen Kriminalgeschichtsel gelesen!"?
Sprecherin: Friedrich Ludwig Jahn hat das durchaus Ernst gemeint. Der 1778 geborene Hauslehrer, uns allen bestens als "Turnvater" Jahn bekannt, engagierte sich vehement für die Ausmerzung der - vor allem - französischen Fremdwörter in der deutschen Sprache. Er trat der 1815 gegründeten "Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache" bei, die sich der Erforschung und Reinhaltung des Deutschen widmete. Beileibe nicht die erste Vereinigung dieser Art. Denn schon im 17. Jahrhundert beklagte die so genannte "Fruchtbringende Gesellschaft" die Vorherrschaft von Gallizismen.
Sprecher 2: Da stellt sich natürlich die Frage, warum? Wenn es doch als chic galt, Französisch zu sprechen oder wenigstens französische Wörter zu benutzen.
Sprecherin: Deutsch ist vor allem von lateinischen und französischen Ausdrücken geprägt. Erst durch den Buchdruck und Martin Luthers Bibelübersetzung vom Lateinischen ins Deutsche begann sich überhaupt eine hochdeutsche Schriftsprache zu bilden. Das einfache Volk sprach ja Dialekt. Die Wissenschafts- und Universitätssprache war Latein. Deutsch genoss als Sprache des Volkes keine besondere Anerkennung. Deshalb war Luthers Bibelübersetzung richtig revolutionär.
Sprecher 2: Man sprach und lehrte also an den Unis in Latein und an den Fürstenhöfen sprach man häufig Französisch.
Sprecher 1: Ich bin einer der Ersten, die auf Deutsch lehren. Meine "Kritik der reinen Vernunft" habe ich auch auf Deutsch geschrieben. Das ist schon ungewöhnlich, aber die Studenten haben es mit Freude aufgenommen.
Sprecherin: Immanuel Kant! Das Deutsche als allgemeine Bildungs-, Geschäfts- und Verwaltungssprache setzte sich erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts durch, und Bücher und Schriften in deutscher Sprache kamen in großer Zahl auf den Markt. Die Besetzung der deutschen Länder durch Napoleon brachte dann einen richtigen Schub: Vor allem Studenten entwickelten ein Nationalgefühl und ihre Identität über die deutsche Sprache.
Sprecher 2: Jetzt bin ich aber platt!
Sprecherin: Im 19. Jahrhundert entstanden dann wichtige Werke über die Entwicklung der deutschen Sprache und noch Anfang des 20. Jahrhunderts war es bedeutende Wissenschaftssprache. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg trat das Englische seinen nicht mehr einzuholenden Siegeszug bei uns an. American Way of Life, Hollywood, Elvis Presley! Heutzutage beklagen ja viele Menschen, nicht nur Sprachwissenschaftler, die Überfremdung der deutschen Sprache mit Anglizismen.
Sprecher 2: Cool. Sag mal, meinst Du, wenn ich ein bisschen googel finde ich noch mehr Infos dazu? Ich könnte mir zu dem Thema vielleicht was aus dem Internet downloaden. Finde ich echt interessant.
Sprecherin: Besonders viele Ausdrücke aus dem Bereich Computer und Internet überfluten uns, und Du bist das beste Beispiel, wie selbstverständlich wir schon anfangen, sie auch einzudeutschen. Ist ja auch kurz und knapp. Googeln für "In der Suchmaschine Google nachschauen, ob man etwas zu einem Thema findet". Aber warum sagst du "downloaden" statt runterladen?
Sprecher 1: Aufruf zur Sprachdemo. Wer unrechtmäßige, zum Teil sogar unmoralische Politik betreibt, kann jedoch kein Vorbild sein. Die Arbeitsgemeinschaft "Sprache in der Politik" ruft daher alle Deutschsprachigen dazu auf, anstelle der englischen wieder vermehrt französische Lehnwörter zu verwenden, also etwa statt "Abstract" wieder "Resümee" statt "Model" wieder "Mannequin", statt "Ticket" wieder "Billett", vielleicht sogar demonstrativ statt "Computer" "Ordinateur" zu sagen und den Abschiedsgruß "Adieu" auch in den Gegenden wieder zu pflegen, wo er sonst nicht gebräuchlich ist. Darüber hinaus könnten auch viele andere französische Wörter wieder häufiger verwendet werden.
Sprecher 2: Das habe ich doch tatsächlich bei Google gefunden. Ein Sprach-Protest gegen die amerikanische Irak-Intervention im Jahr 2003. Ich verstehe nur nicht, warum wir statt englischer Wörter französische benutzen sollen. Ordinateur statt Computer, das versteht doch hier kein Mensch. Ich sag‘ sowieso immer Rechner. Warum Billett, wenn wir doch die gute Fahrkarte haben? Und Chauffeur? Das ist doch der Fahrer!
Sprecherin: Vielleicht finden wir erst über den Umweg der französischen Wörter wieder zu den deutschen. Man glaubt es kaum, aber letztens habe ich in einem aktuellen Fernsehfilm einen Teenager "d’accord" sagen hören. Das war so ungewohnt, dass ich mich gefragt habe, warum der Junge nicht "okay" sagt. Es scheint tatsächlich wieder en vogue zu sein, den vielen Anglizismen etwas Französisches entgegen zu setzen. Vor dreißig Jahren haben wir ja auch ganz selbstverständlich Feten gefeiert statt Partys, wir gingen zum Rendezvous statt zum Date und haben vom Chef Gehaltserhöhung verlangt, nicht vom Boss. Warte mal ab, in ein zwei Jahren feierst du wieder Feste, hast eine Verabredung und forderst vom Vorgesetzten die längst fällige Beförderung.
Sprecher 2: In Ordnung. Ich revanchiere mich ab sofort gegen sprachliche Überfremdung, indem ich konsequent deutsche Wörter in den Mund nehme! Also: Kiste statt Box oder Karton, Lauch statt Porree, Geldbörse statt Portemonnaie, Tafelgeschirr statt Service, Depri statt Tristesse oder Sadness.
Sprecherin: Ah ja? Und was sagst du statt Pommes Frittes mit Ketchup und Mayonnaise?
Sprecher 2:
Pommes rot - weiß! Übrigens, da hätte ich jetzt echt Appetit drauf.
Sprecherin: Appetit: Esslust, Hunger, Verlangen. Das Wort wurde im 15. Jahrhundert aus lateinisch appetitus, Verlangen nach Speise entlehnt......
Sprecher 2: Da hätte ich jetzt echt Esslust drauf? Klingt aber auch irgendwie etepetete......
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