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Antje Allroggen | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.

Alltagsdeutsch (06/04) 10.02.2004 "Pfundskerle"

Pfundskerle

  • O-Ton Jochen Döbler: "Ich bin ein Pfundskerl, ich wiege 200 Pfund. Das könnte man ja sagen ist ein Pfundskerl." "Was soll man machen, man schafft es einfach nicht. Wenn man nun mal Pfundskerl ist, ist es offensichtlich ne Sache, die ist dann nicht nur gewichtsmäßig veranlagt, sondern auch charakterlich irgendwie veranlagt."

Sprecher: Jochen Döbler ist Physiklehrer. Ein gewitzter, ironischer Mensch. Wenn er sich als Pfundskerl bezeichnet, so meint er das im doppelten Sinne. Er sieht sich zum einen als einen Menschen, der viele Pfunde wiegt. Zum anderen spielt er auf die übertragene Bedeutung des Wortes Pfundskerl an: Ein Pfundskerl ist immer ein großartiger Mensch, auf den man sich verlassen kann. Weil der Begriff Pfundskerl nur für Männer gebräuchlich ist, redet man eigentlich nur von männlichen Wesen, wenn man von einem Pfundskerl spricht. Auch die Eigenschaften, die man mit einem Pfundskerl verbindet, sind eher maskuline.

Sprecherin: Schon Cäsar schrieb schwergewichtigen Menschen gute Eigenschaften zu, wollte er doch gern von dicken Männern umgeben sein. Dicke bewegen sich langsamer als Dünne, wirken von daher ruhiger und ausgeglichener, weniger gestresst. Der Oberstudiendirektor Jochen Döbler sieht im Übergewicht für seinen Beruf durchaus Vorteile.

  • O-Ton Jochen Döbler: "Das ist eine physikalische Frage. Bei großen Pfunden ist es nicht so leicht, dass man ständig hin- und hergeworfen wird. Nicht durch jede einzelne Forderung der Schüler. Man hat eine gewisse Trägheit im physikalischen Sinne. Das führt sicherlich auch zu einer größeren Berechenbarkeit und kann schon ein Vorteil sein, ja."

Sprecher: Menschen mit starker Körperfülle sind langsam, schwerfällig. Wie die träge Masse in der Physik sind sie schwer in Bewegung zu bringen. Sie verhalten sich ebenfalls träge. Das Eigenschaftswort kommt ursprünglich aus dem Mittelhochdeutschen und ist verwandt mit dem Substantiv Trauer; ein Zustand, der nahezu jegliche Aktivität erlahmen lässt. So wie in der Mathematik bestimmte Funktionen mit Zahlen zu einem eindeutigen Ergebnis führen, ist es auch mit berechenbaren Menschen: man kann ihr Verhalten nachvollziehen, es verstehen.

Sprecherin: Dennoch macht man sich häufig über dicke Menschen lustig. In einer Welt, in der die Mode ausschließlich dünne Models über den Laufsteg schickt, werden Schwergewichtige mitleidig als Außenseiter angesehen. Es gilt als unzeitgemäß, dick zu sein.

Erstaunlicherweise wächst jedoch der Anteil dicker Menschen an der Gesamtbevölkerung: Jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche in Deutschland sind übergewichtig. Das ergab die Untersuchung einer wissenschaftlichen Beratungsstudie. Viviane Altenbäumer arbeitet als Ernährungswissenschaftlerin beim "Richtig Essen Institut" – einer Einrichtung, die deutschlandweit Auskunft über gesunde Ernährung gibt. In ihren Untersuchungen hat sie herausgefunden, dass sich viele Kinder nicht nur falsch ernähren, sondern sich auch weniger bewegen als früher.

  • O-Ton Viviane Altenbäumer: "Ich weiß nicht, wie zur Zeit der Stand an den Schulen ist, aber es gab Zeiten, dass oftmals der Sportunterricht ausgefallen ist, auch andere Unterrichtsstunden, aber im Sport fällt das stark ins Gewicht. Eventuell ist in der Schule der Druck schon stark vorgegeben durch die Benotung, dass man versucht, Leistungen zu erreichen, um eine gute Note zu bekommen, und sobald diese wieder nicht erreicht werden, wird man gehänselt, weil man es nicht schafft."

Sprecher: Das Wort Stand meint ursprünglich das sichere Stehen, das Aufrechtstehen. Im übertragenen Sinne spricht man vom Stand, wenn man über eine aktuelle Situation Auskunft gibt. Man erklärt den Stand der Dinge. Wer bei jemandem beliebt oder unbeliebt ist, hat bei ihm einen guten oder schlechten Stand.

Was stark ins Gewicht fällt, ist von großer Bedeutung. Die Redensart bezieht sich auf den Vorgang des Wiegens: Je mehr Gewichtstücke auf die Schale gelegt werden, um etwas abzuwiegen, desto mehr fällt dieses ins Gewicht.

Bereits im Mittelhochdeutschen spricht man schon von Druck, der im geistigen oder seelischen Sinne ausgeübt wird. Wird auf jemanden Druck ausgeübt, wird er stark bedrängt, etwas Bestimmtes zu tun.

Im Mittelalter umschrieb das heute nicht mehr geläufige Verb hansen die feierliche Aufnahme eines Lehrlings in die größte Kaufmannsgilde, in die Hanse. Erst seitdem dieses Brauchtum nicht mehr bekannt ist, entwickelte sich aus dem Verb hansen wahrscheinlich die negativ gemeinte Verniedlichungsform hänseln. Unter hänseln versteht man, jemanden zu ärgern oder zu necken.

Sprecherin: Auch Jochen Döbler hat beobachtet, dass die meisten Kinder bzw. Jugendlichen sich zu fett, also ungesund ernähren. In seiner Schule gibt es eine Kantine, in der verschiedene Gerichte angeboten werden. Am meisten nachgefragt, so sagt er, seien Mahlzeiten, die leider sehr kalorienreich sind.

  • O-Ton Jochen Döbler: "Wir sehen das ja auch bei uns: Wir bieten mittwochs einen Mittagstisch an, da gibt es 80 Schüler, die da essen, davon sind 60, die Pizza essen oder Döner oder so was. Also das sogenannte Stammessen, das man anbietet, das kommt nicht mehr an."

Sprecher: Ein Stammessen ist ein Essen, das in der Schul-Kantine regelmäßig angeboten wird. Das Bild bezieht sich auf den Stamm eines Baumes. Ein Zweige treibender Baum versinnbildlicht als Stammbaum die Abfolge verschiedener Generationen einer Familie. Übrigens bezeichnet man auch dickliche Menschen gerne als stämmig: Ihre Figur gleicht dann der eines Baumstamms: sie ist gedrungen und hat keine Taille.

Was nicht ankommt, wird nicht nachgefragt, stößt auf keinerlei Begeisterung.

Sprecherin: Anstatt Sport zu treiben, sitzen immer mehr Kinder nur noch vor dem Fernseher oder dem Computer, hat die Ernährungswissenschaftlerin Viviane Altenbäumer beobachtet. Zwischen der Dauer, die ein Kind vor dem Bildschirm verbringt, und dem Essverhalten gibt es einen direkten Zusammenhang. Das heißt: Kinder, die viel fernsehen, sind in der Regel auch übergewichtig. Demnächst möchte das "Richtig-Essen-Institut" darauf reagieren, dass es immer mehr schwergewichtige Kinder gibt. Ein Seminar soll den Kindern spielerisch vermitteln, wie sie selber auf eine gesunde Ernährung achten können.

  • O-Ton Viviane Altenbäumer: "Die Kinder bekommen jedes Mal nach jeder Sitzung – es sind insgesamt zehn Sitzungen, die wir angedacht haben, einen Elternbrief mit, so dass diese auch informiert werden, und sowohl zu Beginn als auch bei zwei Drittel der Stunden wird ein Elternabend dann geplant. Wir wissen noch nicht genau, ob wir ein kleines Ernährungsduell machen zwischen Eltern und Kindern, wo natürlich die Kinder gewinnen, weil sie schon mehr erfahren haben oder ob es ein anderes Quiz wird. Aber auf jeden Fall sollte das Thema Ernährung natürlich im Vordergrund stehen und das Wissen der Kinder sollte hier auch gezeigt werden."

Sprecher: Ein Duell war im 17. Jahrhundert ein beliebter Zweikampf. Das Wort leitet sich vom lateinischen duellum, also Krieg, ab. Heute ist das Wort eigentlich nur noch im übertragenen Sinne gebräuchlich. Man spricht zum Beispiel von einem Rededuell: Zwei Menschen stehen sich im übertragenen Sinne gegenüber und kämpfen mit Worten um die Richtigkeit ihrer Meinungen.

Sprecherin: Auch Margret Mühlichen arbeitet als Ernährungsberaterin am "Richtig-Essen-Institut". Sie betreut in Köln und Bonn Patienten, die auf gesundem Wege abnehmen möchten. Auch sie hat beobachtet, dass es immer mehr dicke Kinder gibt, vor allem in sozial schwächeren Familien. Hier fehlt es häufig nicht nur an Wissen, was eine ausgeglichene Ernährung ausmacht, sondern auch an Geld. Viele Familien verdienen nicht genug, um sich gesunde, teurere Lebensmittel leisten zu können. Besonders gern wird zum Beispiel an guten Getränken gespart.

  • O-Ton Margret Mühlichen: "Wenn wir ganz ehrlich sind: Ein Fruchtsaftgetränk ist preiswerter als ein Fruchtsaft. Und wenn ich sowieso auf den Pfennig gucken muss – oder auf den Cent in dem Fall -, dann werd ich sicherlich das preiswertere Getränk zu mir nehmen. Nur dass das zu 80 Prozent aus Zucker besteht, weiß ich als Verbraucher normalerweise nicht."

Sprecher: Der Pfennig steht in der Umgangssprache häufig für das Geld schlechthin. Wer auf den Pfennig guckt, muss sparsam sein, darf sein Geld nicht unbedacht ausgeben. Wenn man dann allerdings den Pfennig dreimal umdreht, bevor man ihn ausgibt, gilt man als geizig.

Sprecherin: Viviane Altenbäumer hat bereits mehrere Konzepte erarbeitet, wie man innerhalb weniger Wochen einige Kilo abnehmen kann. Am Anfang steht allerdings immer die Aufgabe, die Eßgewohnheiten der Schwergewichtigen zu ändern.

  • O-Ton Viviane Altenbäumer: "Eine Gewohnheit abzulegen, das ist auf jeden Fall ein schwieriger und langer Weg. Im Erwachsenenalter wird es immer schwieriger, vor allen Dingen in den Alltagssituationen. Man ist auch anderen Stresssituationen ausgesetzt, die vielleicht weggeschoben werden, dass man sagt, ich hab im Moment so viel um die Ohren, ich kann mich jetzt nicht um meine Ernährung kümmern, dass sie sich einfach überfordert fühlen. Und deswegen sollte man so früh wie möglich damit anfangen."

Sprecher: Wer bestimmte Gewohnheiten ablegt, trennt sich von ihnen wie von einem alten Kleidungsstück, das man weglegt und nie wieder trägt. Gewohnheiten abzulegen, ist meistens ein mühseliger Prozess. Man hat dann einen langen Weg vor sich. Das meint im übertragenen Sinne, etwas tun zu müssen, das sich über eine lange Zeit erstrecken wird. Wenn dieser Weg nicht nur lang, sondern auch schwierig ist, spricht man auch von einem steinigen Weg.

Viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Mit dieser sehr geläufigen Redensart ist gemeint, dass es immer mehrere Möglichkeiten gibt, ans Ziel zu kommen. Wer viel um die Ohren hat, hat viel zu tun. Der bildliche Ausdruck beschreibt wahrscheinlich eine Situation, in der sich die Ohren gleichzeitig auf mehrere Geräusche, die sie umgeben, konzentrieren müssen. Um alles zu verstehen, muss man seine Ohren dann spitzen. Möglicherweise geht diese Wendung auf die Beobachtung von Tieren zurück, die – wie Hunde oder Katzen – ihre Ohren aufrichten, so dass die Spitzen nach oben zeigen, wenn etwas ihre Aufmerksamkeit erregt.

Sprecherin: Die meisten Schwergewichtigen haben bereits viele Diäten ausprobiert, letztendlich jedoch immer wieder zugenommen. Wenn alle diese Versuche erfolglos waren, sie aber dennoch abnehmen wollen, entscheiden sich viele von ihnen, eine professionelle ernährungswissenschaftliche Beratung aufzusuchen, erzählt Margret Mühlichen.

  • O-Ton Margret Mühlichen: "Grad was das Übergewicht anbelangt, sind also viele, die alles ausprobieren, was es überhaupt auf dem Markt gibt von Diäten bis hin zu Lea, Lara und was es sonst noch so an Frauenzeitschriften gibt, bevor sie, nachdem sie langsam das Gewicht wieder gesteigert haben, den Weg zur Ernährungsberatung finden. Häufig ist das Kind dann schon in den Brunnen gefallen, bevor sie dann zu uns kommen."

Sprecher: Was in den Brunnen fällt, ist verloren. Brunnen waren früher häufig nicht abgedeckt. Kinder drohten das Übergewicht zu bekommen und hineinzufallen. Die Redewendung, das Kind ist in den Brunnen gefallen, bezeichnet einen besonders schmerzlichen Verlust, der wie im Fall des Kindes unumkehrbar und tragisch ist. Damit will sich der Betroffene allerdings nicht abfinden. Obwohl die Situation unumkehrbar gegen ihn entschieden ist, hofft er plötzlich, den Schaden noch einmal beheben zu können. Ein Versuch, bei dem in der Regel alle Hilfe zu spät kommt. Dieses erneute, recht hoffnungslose Tun umschreibt die Redewendung: Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, deckt man ihn zu. Früher war im Volkstum auch die verwandte Redewendung "Den Brunnen zuschütten, nachdem das Kalb ertrunken ist" geläufig.

Sprecherin: In der Ernährungswissenschaft hat man herausgefunden, dass es im Wesentlichen zwei Faktoren sind, die Menschen schwergewichtig werden lassen: zum einen ist die Veranlagung zum Dickwerden erblich bedingt, zum anderen ist die Erziehung zum richtigen Essverhalten gleichermaßen entscheidend.

  • O-Ton Jochen Döbler: "Was ist nicht eine Frage der Erziehung. Bei dem einen wirkt es sich so aus, dass sie möglicherweise körperlich ausufern, bei den anderen wirkt es sich so aus, dass sie charakterlich oder Gänsefüßchen bildungsmäßig in die falsche Richtung ausufern. Erziehung ist es in jedem Fall. Das ist sicherlich so."

Sprecher: So wie ein Ufer durch die hohe Fließgeschwindigkeit des Wassers immer breiter werden kann, ufert auch die Körperfülle ins scheinbar Unermessliche aus. Was ausufert, hat das richtige Maß überschritten, kann sogar, wenn kein Ende mehr abzusehen ist, ins Uferlose geraten.

Das Wort Gänsefüßchen ist ein eher kindlicher Ausdruck für Anführungszeichen. Vielleicht kommt die Bezeichnung daher, dass die orthographischen Zeichen Ähnlichkeit mit Gänsefüßen haben. Wenn man in der gesprochenen Sprache diese Anführungszeichen mitsprechen möchte, setzt man vor das Gemeinte das Wort Gänsefüßchen.

Wenn etwas in die falsche Richtung läuft, entwickelt sich eine Angelegenheit zum Negativen hin.

Sprecherin: Neben einem falschen Essverhalten ist es häufig der Bewegungsmangel, der zu Übergewicht führt. Viele Übergewichtige haben verlernt, durch Bewegung ein Gefühl für den eigenen Körper zu bekommen. Bei Jochen Döbler haben zwar bislang alle Diäten fehlgeschlagen, aber einmal in der Woche spielt er mit seinem ebenfalls übergewichtigen Partner Tennis.

  • O-Ton Jochen Döbler: "Wir sind bei uns im Verein das stärkste Doppel. Denn jeder hat 100 Kilo, Mit Abstand, also 200 Kilogramm, das stärkste Doppel. Nicht das erfolgreichste, aber das stärkste Doppel. Ist doch auch was, muss man sagen. Nein, ist schon wichtig, Tennis zu spielen, so´n bisschen rumzuhüpfen. Vor allen Dingen, man merkt daran doch, dass man noch beweglich ist."

Sprecher: Wenn Jochen Döbler von einem starken Doppel beim Tennis spricht, schwingt auch hier eine doppelte Bedeutung mit. Zum Einen meint er den sportlichen Fachterminus des Tennis-Doppels, zum Zweiten meint er die eigentliche Bedeutung des Wortes: das Gewicht beider beträgt das Zweifache des einzelnen. Auch hier tritt wieder eine ironische Bedeutung ein, wenn ein Begriff beim Wort genommen wird. Das Wort stark kann als Steigerung des Adjektivs gut gebraucht werden. Vor einiger Zeit war das Eigenschaftswort stark besonders in der Jugendsprache geläufig, wenn man eine Sache toll fand.

Sprecherin: An einigen Schulen ist bereits jedes dritte Kind zu dick. Weil immer mehr Mütter berufstätig sind und immer weniger Zeit für ihre Kinder haben, sind einige Grundschulen dazu übergegangen, Ernährungsberatung als Unterrichtsfach einzurichten. Man möchte den Kindern die Möglichkeit geben, selber auf eine gesunde Ernährung zu achten. So lernen sie zum Beispiel, welche Speisen besonders viel ungesundes Fett enthalten und welche Speisen gesund sind, weil sie einen hohen Anteil an Kohlehydraten aufweisen. Wenn die Vernunft dann stärker ist als der Wunsch nach Schokolade, können aus dicken Kindern doch noch schlanke Erwachsene werden.

Antje Allroggen

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