Drucken

Gisela Schinawa | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.

Alltagsdeutsch (03/04) 20.01.2004 "Wörter jiddischer Herkunft"

Maloche, Reibach, Mischpoche

 & Co - Wörter jiddischer Herkunft

Musik: CD "Klezmer 1993 New York City", Knitting Factory Works, LC5665, Cut 1, BillyTipton Memorial Saxophone Quartet: "Frailoch".

Sprecher:

Klezmer, die traditionelle Hochzeits- und Festmusik jiddischsprachiger Juden, ist heutzutage auch vielen nicht-jüdischen Musikliebhabern ans Herz gewachsen. Klezmer bedeutet im Hebräischen Musikinstrument. Im Jiddischen nannte man einen der Notenschrift unkundigen und ungebildeten Musiker so. Inzwischen hat das Wort jedoch einen Bedeutungswandel erfahren und bezeichnet einen Musikterminus. Klezmer Musik verbindet Juden und Nichtjuden mit einem Stück jüdischer Kultur und wird mittlerweile nicht nur auf Festen, sondern auch in Konzertsälen gespielt, von professionellen Musikern, versteht sich.

Sprecherin:

Ich finde diese Musik auch ganz dufte. Aber Jiddisch? Was ist das denn für eine Sprache? Ich dachte immer, Juden sprechen Hebräisch, in Israel zum Beispiel.

Sprecher:

Das stimmt. Aber Jiddisch eben auch, obwohl es heute nicht mehr von vielen Menschen gesprochen wird. Die Sprache ist aus mittelalterlichem Deutsch entstanden. Damals, Anfang des 13. Jahrhunderts, mussten Juden in Gettos wohnen und in dieser Isolation von ihren christlichen Mitbürgern mischten sich zunehmend hebräische Ausdrücke in ihr Deutsch, das sich auf diese Weise zu einem eigenen Sozialdialekt wandelte. Weil aber nur männliche Mitglieder der Familie Hebräisch lesen und schreiben konnten, die Frauen oft sogar kein Hebräisch verstanden, begann man für sie die biblischen Geschichten auf Jiddisch zu erzählen. Zudem wollten zumindest orthodoxe Juden die hebräische, ihrer Meinung nach heilige Sprache, nicht in profanen, sprich weltlichen Zusammenhängen, anwenden. Man sprach also im Alltag Jiddisch, bei religiösen Zusammenkünften Hebräisch. Durch Wanderungs- und Fluchtbewegungen breitete sich das Jiddische von Deutschland nach Osteuropa aus. Dort nahm es auch Wörter aus slawischen Sprachen auf und entwickelte sich zu einer eigenständigen Kultursprache, während es im westlichen Europa in größerer sprachlicher Nähe zum Deutschen blieb.

Musik: "doss pintele yid", Geula Gal-Ed sings Yiddish Songs, Cut 3, "Her nor du sheyn meydele", Eigelstein Musikproduktion, 1988, ES2034

Sprecherin:

Das klingt aber schön! Und ich verstehe wirklich einige Wörter.

Sprecher:

‚Her nor, du sheyn meydele‘, zu Deutsch ‚Hör, schönes Mädchen‘ ist ein populäres Volkslied aus dem 19. Jahrhundert. Es geht darin um ein junges Mädchen, das sich keine Sorgen um Geld, Essen oder Unterkunft macht, wenn es nur mit seinem Liebsten zusammen sein kann. Der Text wurde übrigens erstmals in einer Berliner Kulturzeitschrift veröffentlicht.

In den deutschsprachigen Ländern gaben aber viele Juden seit Mitte des 18. Jahrhunderts das Jiddische auf, weil sie es als Emanzipationshindernis ansahen. Doch als Juden aus Osteuropa nach Berlin oder Wien einwanderten, brachten sie ihre ostjiddische Muttersprache wieder nach Deutschland und Österreich zurück. Vor allem im Berliner Scheunenviertel und in der Wiener Leopoldstadt lebten viele Ostjuden, und ihre Sprache prägte in der Nachfolge die Stadtdialekte. Besonders das Berlinerische hat sich viele jddische Wörter zu Eigen gemacht. Dufte, jiddisch tow, gut, schön, lieblich ist wohl eins der bekanntesten Adjektive, das wir immer wieder mit Berlin assoziieren.

Musik: Claire Waldoff, "Wer schmeißt denn da mit Lehm?" Cut 5: "Ne dufte Stadt ist mein Berlin", ZYX Music, PD 5000-2, Erste Strophe bis: ne dufte Stadt ist mein Berlin

Sprecherin:

Meine Großmutter kommt aus Berlin. Die hat immer zu mir gesagt: "Kindchen, dat machst de bloss aus Daffke!" Ist das zufällig auch jiddisch?

Sprecher:

Volltreffer. Von Jiddisch davko. "Er tut es aus Daffke", das heißt, "er tut es aus Trotz", das hat man auch in jüdischen Familien gesagt.

Sprecher:

Lieber schmusen als malochen.

Sprecherin:

Lieber Reibach machen als Pleite gehen.

Sprecher:

Sonst hat man den Schlamassel, und die Mischpoche zetert. Aber mal im Ernst. Wussten Sie, dass all diese Wörter jiddischen Ursprungs sind? Mischpoche, von mischpocho, Geschlecht, Völkerstamm, Familie, ist wohl vielen als gängiger Begriff für die Verwandtschaft bekannt. Bei Schlamassel denken andere dagegen oft an Schlamm. Dabei ist das Wort von schlimm-masol abgeleitet, was soviel bedeutet wie schlimmer Stern, Unglück. Schlamassel sagen wir umgangssprachlich, wenn wir von einer misslichen Lage, einer verfahrenen Situation sprechen. Massel, Glück, haben wir da schon lieber. Wir verwenden häufig Wörter in unserer Alltags- und Umgangssprache, ohne zu wissen, dass sie jiddischen oder hebräischen Ursprungs sind. Zum Beispiel schmusen, ursprünglich erzählen, reden, aber auch schmeicheln. In der deutschen Umgangssprache bekam es die Bedeutung von liebkosen.

Sprecherin:

Schön und gut. Aber malochen? Ein Malocher ist doch ein hart arbeitender Mensch aus dem Ruhrgebiet. Was ist an dem denn jiddisch?

Sprecher:

Ja, bei dem Wort denken wir sofort an einen Kumpel aus dem Bergbau oder einen Arbeiter in der Stahlindustrie. Mit Maloche verbinden wir meist schweißtreibende oder anstrengende Arbeit. Aber das Wort stammt aus dem Jiddischen, von melocho, Arbeit, Werk. Übrigens, man kann auch am Computer malochen!

Sprecherin:

Und wer malocht, kann Reibach machen oder Pleite gehen?

Sprecher:

Genau. Pleite heißt auf Jiddisch Flucht, aber auch Bankrott. Der Pleitegeier war übrigens der mystische Vogel des Bankrotts, der über dem gleichnamigen Bankrotteur schwebte. Jiddisch rewach, die Erweiterung, der Vorteil und der Zins kam über das Rotwelsche, eine Gaunersprache, ins Deutsche und meint einen Gewinn, meist einen unverdient hohen. Wir haben übrigens in unserer Verwendung von jiddischen Wörtern oft gar nicht mehr die für Juden ursprüngliche Bedeutung beibehalten. Koscher zum Beispiel ist ein Wort, das für einen Juden eine wichtige religiöse Bedeutung hat, denn schließlich spielt es eine große Rolle, ob das Fleisch koscher, sprich rituell zulässig ist oder nicht. Koscher bedeutet, recht, rein. Wir sagen: "Das ist nicht koscher" und meinen "das ist nicht in Ordnung". Viele jiddische Wörter haben so im Lauf der Zeit eine neue Bedeutung erfahren. Sprache ist halt lebendig. Noch ein Beispiel: Zchoken bedeutete im Jiddischen spielen, scherzen, später Karten spielen und heute heißt zocken risikoreich handeln.

Sprecherin:

An der Börse zocken empfiehlt sich aber nicht.

Sprecher:

Genau so wenig wie auf Abzocker, Betrüger, hereinfallen.

Sprecher:

Wie selbstverständlich jiddische Wörter einen Platz in unserem Wortschatz einnehmen, zeigen auch Ableitungen, wie Riesenreibach. Wenn wir sagen wollen: "Da hat aber einer anständig Geld verdient!" heißt es: "Der hat einen Riesenreibach gemacht".

Zoff, jiddisch soph, für Ende, Abschluss, avancierte über den Umweg der berlinerischen Bedeutung Ärger und Streit gar zum Modewort. Die Ableitung Zicken-Zoff ist eine phantasievolle, wenn auch nicht gerade schmeichlerische Neuschöpfung aus der Jugendsprache. Das deutsche Wort Zicke, ursprünglich eine junge Ziege, bezeichnet eine wenig umgängliche, "bockige" Frau, mit der man halt manchmal Zoff hat, und die sich mit anderen Zicken zofft, also streitet. Jiddische und deutsche Wörter stehen so in einem lebendigen sprachlichen Austausch.

Aus dem jiddischen mis für ekelhaft und schlecht stammt auch unser Adjektiv mies, das auf verschiedene Weise unseren Alltag trüben kann. Der Miesepeter, ein übellauniger Mensch oder der Miesmacher, der alles schlecht macht und nörgelt, sind darauf zurück zu führen. Beim Kartenspiel sammeln wir Miese, das sind die Minuspunkte, und den Sollstand auf dem Bankkonto nennen wir ebenfalls so.

Sprecherin:

Sprich mir nicht davon. Ich bin zur Zeit auch in den Miesen.

Musik: "Geula Gal-Ed sings Yiddish Songs", Cut 6, "ch’vel shoyn mer nisht ganvenen"

Sprecherin:

Wie sind die jiddischen Wörter überhaupt ins Deutsche gelangt? Eben hast du eine Gaunersprache, Rotwelsch, erwähnt. Jetzt rede mal Tacheles!

Sprecher:

Jiddisch tachlis heißt Endzweck, Vollkommenheit, aber auch praktisches Ergebnis.

Sprecherin:

Wenn dein Gerede mal dazu führen würde!

Sprecher:

Ich rede ja schon Klartext! Also: Erste Wörter aus dem Jiddischen kamen bereits im 16. Jahrhundert in die deutsche Sprache. Gelehrte hatten Interesse am Jiddischen, weil es hebräisch geschrieben wurde und sie dadurch Zugang zur hebräischen Sprache fanden. Doch vor allem Vaganten und Gauner lernten auf ihrer Wanderschaft jiddische Ausdrücke kennen, nahmen sie in ihre Geheimsprache auf und passten sie ihrem Milieu an. Wörter wie Schmiere stehen, Knast oder baldowern erinnern uns doch sofort an die Niederungen des Lebens! Jiddisch schmiro, für Wache, Wachposten, Wächter, wurde in der Ganovensprache zu "beim Stehlen Wache stehen". Knas hieß im Jiddischen Geldstrafe, knas geben, eine Strafe bezahlen. Daraus wurde in der Gaunersprache Rotwelsch die Freiheitsstrafe und im Berlinerischen das Gefängnis. Knast ist inzwischen überall in Deutschland der umgangssprachliche Ausdruck für Gefängnis.

Sprecherin:

Und baldowern heißt doch plaudern, oder?

Sprecher:

Ja, auch. Aber ursprünglich war der baal dowor ein Herr, ein Besitzer und Unternehmer, auch ein Führer. Im Rotwelschen wurde daraus ein Anführer oder Auskundschafter bei einem Diebstahl. Baldowern bedeutet, etwas auskundschaften, umgangssprachlich sagen wir auch, etwas ausbaldowern, etwas herausfinden.

Sprecherin:

Tinnef, Chuzpe, Zocker und Schickse: Ausdrücke des Zeitgeistes, die hört man heute wieder öfter.

Sprecher:

Obwohl im 18. Jahrhundert in Preußen verfügt wurde, die Handelsbücher in Deutsch zu führen, sprachen viele Familien zu Hause weiterhin Jiddisch. Ihr Dienstpersonal trug vor allem in den Städten zur Verbreitung jiddischer Ausdrücke im Deutschen bei. Vielleicht machte die Geschichte von der Schickse die Runde, die die Chuzpe hatte, den jüdischen Sohn des Hauses heiraten zu wollen. Schickzo, das Christenmädchen, und chuzpe, die Frechheit, Unverschämtheit. Schickse nennt man heute umgangssprachlich aber alle Frauen mit leichtlebigem Lebenswandel.

Viele Christen sahen sich jedoch auch gezwungen, Jiddisch zu lernen, wenn sie erfolgreich am Handel teilhaben wollten, denn vor allem bei jüdischen Viehändlern und Metzgern blieb es lange Zeit Fachsprache. Tinnef zum Beispiel von jiddisch tinneph bedeutete ursprünglich Kot und Unrat, oder auch Nachgeburt von Tieren, später bezeichnete es mangelhafte Ware, und wir verwenden es heute in der Bedeutung von wertlosem Zeug oder Unsinn.

Sprecherin:

Also haben viele jiddische Wörter ihren Ursprung in sozialen Verhältnissen, oder? Zumindest erfährt man durch sie etwas vom jüdischen Alltag und seiner Lebenswelt. Das finde ich ganz spannend. Aber, wo wir gerade dabei sind, was heißt eigentlich nebbich?

Sprecher:

Ein Nebbich ist ein Niemand, ein Nichtsnutz, ein unbedeutender Mensch. Nach dem gleichnamigen Partikel zur Verstärkung eines Ausdrucks. Nebbich heißt auch so viel wie: "Was soll’s!". Im Journalismus wurde das Wort Anfang des 20. Jahrhunderts oft verwendet, um eine Sache als unbedeutend zu bezeichnen. Überhaupt gehörten Wörter wie Tinnef, Nebbich oder Chuzpe zum festen Bestandteil des Jargons von Schauspielern, Journalisten und Künstlern.

Aber die Verwendung jiddischer Ausdrücke beinhaltet auch ein trauriges und dunkles Kapitel. Seit dem späten 19. Jahrhundert benutzte man sie in der Literatur zunehmend in Parodien auf jüdische Bürger, zum Spott und zur Diffamierung. Die Nationalsozialisten setzten Wörter wie zum Beispiel Nebbich in ihrer Propaganda dann gezielt zur Diskriminierung und antisemitischen Agitation ein. Verständlich, dass viele Juden in dieser Zeit vom Gebrauch jiddischer Wörter absahen, schon allein, um sich keiner Verfolgung auszusetzen.

Sprecherin:

Dann hat man sich doch bestimmt danach gescheut, jiddische Ausdrücke überhaupt wieder in den Mund zu nehmen. Nach so einem sprachlichen Missbrauch!

Sprecher:

Genau so war es.

Sprecher:

Heute, nach einem Prozess der Wiederannäherung beider Kulturen, verwenden wir wieder häufig jiddische Ausdrücke im Deutschen, allerdings weitgehend ohne jüdische Konnotation, das heißt, wir denken beim Gebrauch gar nicht an ihren jüdischen Ursprung.

Sprecherin:

Dabei finde ich, dass viele so einen erfrischenden, kessen und handfesten Ton in unsere Sprache bringen und sie mit sprichwörtlichem jüdischen Witz und einem Augenzwinkern würzen.

Sprecher:

Jetzt fängst du ja richtig an zu schwärmen. Sag mal, bist etwa schicker?

Sprecherin:

Und du bist wohl meschugge, oder was? Ich werde doch wohl mal meine Meinung sagen können. Die Chuzpe hab‘ ich!

Sprecher:

Ja, ja, ist ja gut. Aber ich finde, es gibt da noch eine wirklich dufte Verbindung: Die jiddischen Wörter sind aus dem jüdischen Alltag in unsere Umgangs- und Alltagssprache gekommen und leben in der Jugendsprache weiter. Wenn das mal nicht zukunftsweisend ist!

Gisela Schinawa

Drucken

Gisela Schinawa | www.dw-world.de | © Deutsche Welle.