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Alltagsdeutsch (01/04) 06.01.2004 "Deutsche Dialekte - Berlinisch"

Mundarten und Dialekte
Berliner Schnauze
- O-Ton (verschiedene):
- "Is schnelllebig geworden in Berlin. Is n bissel stressig geworden. Fehlt manchmal dieset freundliche Dankeschön – Bitteschön - Hallo."
"Ik bin ne Ossitussi!"
"Berlin ist schon geil. Ich bin ein Berlina!"
"Weil Berlin geil is. Berlin is geil."
"... zum Beispiel den Gebrauch von ‚j‘ für ‚g‘ – also wir sagen die velare Spirans, das ist das ‚g‘ wird zur palatalen Spirans, das ist ‚j‘."
"Deswegen liebe ich Berlin, wegen der frechen Schnauze. Es wird kein Blatt vor den Mund genommen und die Sachen kommen eins zu eins."
Sprecherin 1:
Also nach der echten Berliner Schnauze muss ich gar nicht lange suchen. Die begegnet mir nämlich gleich hier am Hackeschen Markt – der gar kein Markt is – sondern vielmehr das Epizentrum von Berlins neuer szeniger Mitte.
Sprecherin 2:
Laut offiziellen Jerüchten ist das Neue Berlin eine Mischung aus wildem Nachtleben, Kreativagenturen und selbständigem Geschäftssinn.
Sprecherin 1:
Doch das war hier am Hackeschen Markt nicht immer so:
- O-Ton:
"Dit war äh ein richtijer Bauer- wie son Bauernmarkt. Da sind se mit ihre Kohlköppe jekommen, ham jetauscht, ham Musik jemacht und n bisschen jetanzt und sowat allet, wissen Se. Richtig Leben. Ja. Leben."
Sprechrin 2:
Der Berliner – sehr direkt, schnodderig, undiplomatisch und manchmal respektlos. Schlagfertig und geradeaus:
"Wenn Se da mal einer auf die Füße tritt, dann sagen sie: "Mönsch, kannst nich uffpassen, Olle! Verstehn Se?"
Sprecherin 1:
Und nirgendwo Manieren - so wirken se, die Hauptstädter.
- O-Ton:
"Ja. Herz und Schnauze - wirklich. Also, wir haben einen sehr deftigen Humor und dieser Humor wird auch nich von allen verstanden, aber der ist wahnsinnig herzlich gemeint."
- O-Ton:
"Klar, wie alle sprachlichen Varietäten ist natürlich das Berlinische stark mit der Identität verbunden – der Berliner."
Sprecherin 1:
Norbert Dittmar muss es wissen, denn er ist Linguist an der Freien Universität in Berlin und er hat die Sprache der Berliner analysiert. Die Überraschung: In Berlin können Sie immer noch hören, wer im Osten oder im Westen der Mauer gewohnt hat. Norbert Dittmar behauptet sogar, dass die Mauer heute noch steht: als Sprachmauer, die Ossis und Wessis trennt. Von Theodor Fontane ist überliefert, wer ein echter Berliner werden wolle, müsse lernen, einen fremden Menschen auf der Straße anzurempeln mit den Worten "Pass besser uff, man!". Für Fontane war das Berlinische etwas:
Sprecher:
"... darin sich Übermut und Selbstironie, Charakter und Schwankendheit, Spottsucht und Gutmütigkeit, vor allem aber Sentimentalität die Hand reichen".
Sprecherin 1:
Sentimentalität – die ist auch in den Liedern von Marlene Dietrich zu spüren.
Sie hatte immer einen Koffer in Berlin. Die Liste der Berlin-Liebhaber ist wirklich lang. Erich Kästner hat sogar berlinisch gedichtet:
- O-Ton:
"Mensch, Leute, ick muss Euch wat erzählen,
ick war doch neulich in Kintopp!
Na da is mir vielleicht was passiert!
Also ick sitz da – und dis is n wunderschöner Film
Und anner schönsten Stelle –
Du globst et nich – also wirklich – Filmriss!
Ick da hin zu dem Männeken – und mach den Film wieder an -
Kleb den, irgendwie – aber mach wat!
Du kannst mich nich so nach Hause schicken!"
Sprecherin 1:
Der Berliner meckert immer – anders kann er nicht.
- O-Ton:
"Ne, ne, sacht der, junget Fräulein, das hat alles seine Richtigkeit!
Et wird nach einem Happy End
Im Film jewöhnlich abjeblend!
Man sieht bloss noch in ihre Lippen,
seinen Schnurrbart stippen
Da hat se nun den Dschentlemen, na und denn?
Denn gehen die beeden brav int Bett –
Naja, is ja ooch ganz nett.
Aber manchmal möcht man ooch jerne wissen
Was machen die beeden wenn se sich nich küssen?
Die könn ja doch nich bloss immer penn, na und denn?
Denn säuselt im Kamin der Wind,
Denn kricht det junge Paar n Kind,
Dann kocht se Milch,
Die Milch looft über,
dann macht er Krach - sie weent drüber.
Dann wollen sich beede jänzlich trennen –
Na und denn?
Denn is dit Kind nich uffm Damm.
Dann bleiben de beeden doch zusammen.
Dann quälen se sich noch manche Jahre,
er will noch wat mit blonde Haare –
vorne doof und hinten minoren
na und denn?
Denn sindse alt.
Der Sohn haut ab.
Der Olle macht nu ooch bald schlapp.
Verjessen Kuss- und Schnurrbart-Zeit,
Ach Menschenskind, wie liecht det weit!
Wie der noch scharf uff Muttern war,
dit is schon beinah nich mehr wahr.
Der olle Mann denkt so zurück,
wat hatta nu von seinem Glück?
Seine Ehe war zum größten Teile:
Verbrühte Milch und Langeweile.
Und darum wird beid Happy End
Im Film jewöhnlich abjeblend.
Jetzt wissen wat!"
Sprecherin 1:
Gibts ausnahmsweise doch mal etwas zu loben, ist das Höchste der Gefühle: Da kannste nich meckern!
- Musik:
"Alle sagen Icke und wir haben ne grosse Schnauze. Mensch, die brauchen wir doch och, schließlich tragen wir unser großet Herz auf der Zunge...."
Sprecherin 1:
Einheimische, wie die legendäre Entertainerin Helga Hahnemann, sagen "ick", "det" und "wat" – anstelle von ich, das und was. Und auch heute wissen schon die Kleinsten, wie das geht:
- O-Ton:
"Icke dette kieke mal, Oogen, Fleesch und Beene – nee meen Kind so heeßt det nich – Augen, Fleisch und Beine!"
Sprecherin 1:
Früher fanden Berliner Kinder vielleicht alles "knorke" – heute eher "voll krass". Aber mal ganz ehrlich, irgendwie ist den Berlinern die Sprache ihrer Stadt doch oft -
- O-Ton:
"... also is n bisschen peinlich – draußen zu sagen, "voll krass" oder "hau rin" – is peinlich, einfach peinlich."
Sprecherin 1:
Ganz klar, wer was werden will, muss hochdeutsch reden. Das Berlinische genießt nämlich kaum großes Ansehen:
- O-Ton:
"... bitte nicht in der Schule und bitte nicht in der Öffentlichkeit – da brauchen wir kein Berlinisch. Am Stammtisch, ok, das darf sein. Aber bitte nicht im offiziellen Sprachgebrauch."
Sprecherin 1:
Sozialer Aufstieg geht also nicht auf Berlinisch. Das Berlinische klingt nämlich "prollig" - also n bisschen primitiv.
- O-Ton:
"Nö, überhaupt nicht. Dit is n ganz normaler Dialekt und den sprech ich eigentlich och janz jut, obwohl ich nicht aus Berlin bin. Aber den kann man sich so janz leicht anjewöhnen."
Sprecherin 1:
Zur Berliner Mundart gehören unbedingt die Übertreibung und die Wortverdrehung.
- O-Ton:
"Und da gibt es z.B. Neologismen, nehmen wir mal an, jemand hat ne Baskenmütze, dann würden sie sagen das ist ein Jedächtniswärmer. Oder jemand sagt: ‚Dann hab ich nur zwee Stunden jeschlafen. Steh ick mit sonne Glüschen erstmal auf.‘ Glüschen sind Augen."
Sprecherin 1:
Na, da fällt mir ja auch noch was ein: "Quadratlatschen" für ausgebeulte Schuhe und "Quasselstrippe" für Menschen, die das Schwatzen nicht lassen können.
"Gut, dann haben wir noch Erweiterungen von Ausdrücken, also Stilfiguren – zum Beispiel Molle-Kühle. Das sagt man für ein kühles Bier oder ne kühle Molle – oder türkisches Fladenbrot wird auch Sitzkissen genannt, ne."
Sprecherin 1 + 2 im Wechsel:
Die Berliner sind eigentlich n Volk von Zugezogenen. Das verrät auch ihre Sprache: Preußische Nüchternheit, französische Wortkaskaden, Zille sein Milljöh, jüdische Selbstironie, der Esprit von Intellektuellen, niederländische Fragmente und natürlich der Gossenjargon – das alles hat das Mundwerk der Berliner riesengroß und die Seele wetterfest gemacht. Menschen aus allen deutschen Regionen und den Nationen der Welt leben hier. Eine Millionenstadt. Unter der hektischen Oberfläche aber ist Berlin nach wie vor ein Dorf. Oder besser, eine Anhäufung von Dörfern in der preußischen Provinz: Charlottenburg, Moabit, Treptow, Pankow, Marzahn und natürlich Kreuzberg: Jeder dieser Bezirke hat sein eigenes Zentrum. Und ein paar Straßen weiter wartet immer eine andere Welt. Berlin ist groß und ick bin klein – so ist hier der Lauf des Lebens.
Sprecherin 1:
Görli, Görli" - das ist natürlich der Görlitzer Park, - "Cotti" das Cottbusser Tor – und "Boxi" – das ist der Boxhagener Platz.
Sprecherin 2:
Allet in allem: unser Berlin. Ein großes Durcheinander.
Sprecherin 1:
Hier vermischt sich In mit Out, Ost mit West, Deutschland mit Anatolien.
Türkisch kann man fast überall in Berlin hören. Man sagt ja auch, Berlin sei die drittgrößte türkische Stadt nach Istanbul und Ankara. Und natürlich gibts kaum einen deutschen Dialekt, der in Berlin nicht zu hören ist.
- O-Ton:
"Also, det is ja nicht mehr der typische Berliner, der jetzt hier wirklich permanent zu sehen is. Sondern det is eigentlich n gemischtes Volk zwischen Sachsen, Bayern, Hamburger, ja - Bonner."
Sprecherin 1:
Als Hauptstadt der Berliner Republik wirkt die Stadt auf viele wie ein Magnet – aber Liebe und Hass liegen nah beieinander. Der Schriftsteller Hans Christoph Buch klagt im Internet:
Sprecher:
"Man muss Masochist sein, um eine Stadt zu lieben, über der im Winter nie der Himmel aufreißt, während sie im Sommer an ihrem Staub und Smog erstickt, wo die Passanten unhöflich und schlecht gekleidet sind und Kampfhunde spazieren führen, die zähnefletschend die Trottoirs voll scheißen. Verglichen mit Venedig oder Rom ist Berlin nicht nur keine schöne, sondern eine ausgeprägt hässliche Stadt. Trotzdem leb ich gerne hier. erlin ist ein Aschenputtel, das nicht vorgibt, mehr zu sein, als es ist, außer wenn es sich als Austragungsort für die Olympischen Spiele bewirbt."
Sprecherin 1:
Mit den Olympischen Spielen hat‘s ja nun nicht jeklappt, aber 2006 wird das Finale der Fußballweltmeisterschaft in Berlin gefeiert. Doch auch ohne solche Großereignisse schütten vor allem die Zugereisten mühelos einen ganzen Berg an Metropolenhysterie auf.
In den kleinen Seitenstrassen des Scheunenviertels trifft man dann aber auf echte Berliner Originale:
- O-Ton:
"Schrippe – Schrippe. Und das ist ne Semmel. Und dann haben wir n Schusterjungen. Naja, und dann die gewissen modernen neuen Brötchen – Kürbiskernbrötchen, Sonnenblumenkernbrötchen und was es so gibt. Dann gibt es n Knüppel noch – das sind so original Berliner Sachen."
Sprecherin 2:
Aha. Aber wat denn, wat denn - da fehlt doch nun noch wat. Ne trockene Schrippe aleene reicht doch nicht.
- O-Ton:
"Schöne Currywürste, Berliner Currywürste – mit Darm – ohne Darm. Also die Zusammensetzung weiß ich nich hundatprozentich – auf jeden Fall is da Schweinefleisch drin. Und Jewürze, Currypulver, Jewürze – hauptsächlich mit Jewürze. Also bei uns zur Zeit imma mit Darm. Ja, normal sacht man, original is ohne. Ohne 1,30 – eigentlich gleich auch wie mit – kost auch 1,30."
Sprecherin 1:
Lange vor der Currywurst kam die Bulette nach Berlin. Die Bulette ist keine Wurst, sondern ein Fleischkloß. Das Rezept für "la boulette" haben die Hugenotten – das sind französische Protestanten - nach Berlin gebracht. Und bis heute sind nicht nur die Buletten, sondern auch manche originelle Wortschöpfungen des berlinisierten Französisch in aller Munde: Bring ma bloß nich in die Bredullje – also: Bring mich nicht in Schwierigkeiten! Nu aber dalli, dalli! – Beeil Dich!, heißt das. In der Eile gelingt dann vieles aus der Lamäng – nämlich einfach so, aus der Hand heraus - französisch: à la main. Und zur Haute Volée möchte in Berlin auch nicht jeder gehören.
- O-Ton:
"Also ich geh jetzt nich hier Gendarmenmarkt oder hier wie die alle heißen – wo unsere Hotte-Volaute hingeht oder auch der Schröder, da brauch man mich jetzt nicht suchen."
Sprecherin 1:
Grundlage des Berlinischen sind das märkische Platt, das Hochdeutsche und das Sächsische. Weitere Zutaten kamen aus dem Jiddischen, dem Niederländischen und dem Slawischen.
- O-Ton:
"Und im 19. Jahrhundert haben wir dann noch mal ne Unterschichtung des Berlinischen gehabt, dadurch dass eben aus Schlesien und anderen Gebieten sehr viele Einwanderer nach Berlin kamen, die ja in der Industrie gearbeitet haben. Das heißt, dass die Arbeiterschicht verstärkt wurde, und dass das Berlinische, das natürlich in der Arbeiterschicht herrschte, doch sehr stark dann vertreten war."
Sprecherin 1 + 2 im Wechsel:
Zu Mauerzeiten schlich sich peu à peu ein geteiltes Identitätsgefühl ein. Ach ja, der Kurfürstendamm! Und das Café Kranzler! - auf der einen Seite und auf der anderen, in der Ostberliner Karl-Marx-Allee hieß es:
Für Frieden und Sozialismus immer bereit! Und für mich n Joldbroiler, Genosse! – Goldbroiler waren ostdeutsche Brathähnchen.
Sprecherin 1:
In Ost-Berlin wurde das Berlinern ganz bewusst kultiviert. Man feierte sich als Hauptstädter und trotzte der Übermacht des Sächsischen im Partei- und Staatsapparat der DDR.
An der Sprache ließen sich selbst Ostberliner Intellektuelle nicht mehr unbedingt vom Arbeiter unterscheiden.
Auf der Westberliner Insel dagegen bemühte sich jeder Aufsteiger um ein gepflegtes Hochdeutsch. Weltoffenheit! Das war das Ideal in den eigenen Mauern:
- O-Ton:
- "Also, ich glaube, dass sich auf jeden Fall in der eher gehobenen Schicht und akademischen Schicht und die etwas gebildeteren Leute, dass die sich im Westen mehr zurückhalten."
- "In der DDR war‘s natürlich anders. Da war‘s eine Sprache der Solidarität und es war die Sprache des Volkes, wenn man so will."
Sprecherin 1:
Viele ehemalige Ost-Berliner drücken sich indirekter aus – sie sagen häufig "ich würde" oder "ich glaube". Dagegen geht es bei West-Berlinern zumeist geradeaus: "Ich bin. Ich will. Ich kann." - so ist das Resümee des Sprachforschers Norbert Dittmar.
Ob Ost – ob West – die Berliner Schnauze gehört zur Hauptstadt und die stirbt och so schnell nicht aus. Hoffentlich. Denn dit wär nu och schade!
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